Wie man Hashtags nicht anwendet. Ein Praxisguide.

Ein katholisches Nachrichtenportal lässt T-Shirts herstellen mit einem Embryo und dem Hashtag (!) # alllivesmatter. Griff ins Klo, um es kurz zu sagen, und hier könnte mein Beitrag auch schon enden. Aber das wäre ja langweilig.

Was ist so schlimm an dieser Darstellung? Ist es denn nicht wahr, dass in den Augen Gottes jedes Leben zählt, auch und gerade das der Schutzlosesten? Absolut! Aber der Hashtag ist kein primäres Instrument der Offenbarung Gottes, sondern ein von Menschen erfundenes und genutztes Instrument zur chiffre- und stichwortartigen (daher verkürzten) Darstellung eines Bedeutungsclusters. Nicht anders als mit Sprache oder anderen kulturellen Codes kann man, vorausgesetzt man kennt die Bedeutungen, die dem Hashtag beigelegt sind, sehr knapp sehr viel aussagen – wenn ich nicht genügend Medienkompetenz (=sozialmediale Sprachkenntnisse) habe und nicht weiß, welche Bedeutungen ein Hashtag entwickelt hat, auch ganz viel, was ich gar nicht hatte sagen wollen. Tricky.

In diesem Fall nun wurde dem „Lebensschutz“ mal wieder ein größtmöglicher Bärendienst aus den eigenen Reihen erwiesen. „Eigentor“ wäre dafür ein viel zu euphemistischer Begriff.

Warum? Weil ein Hashtag eben nicht einfach nur aussagt, was da steht, sondern, was andere damit zum Ausdruck bringen wollen. Diese Prägung kann man nicht willkürlich umprägen, weil die sozialen Medien, die über Hashtags funktionieren, dadurch „eindeutige“ Zuordnungen vornehmen. Man kann nun darüber diskutieren, ob #blm (black lives matter) ein angemessener Hashtag ist, oder besser, man kann über die dahinterliegende Realität unterschiedlicher Ansicht sein. Aber ob es mir gefällt oder nicht, der Hashtag #alllivesmatter wurde in Stellung gebracht, um den Hinweis auf eine spezifische Bedrohungslage für dunkelhäutige Menschen mindestens zu relativieren, wenn nicht abzuwehren – weshalb er eben auch von Menschen, die #blm unterstützen, besonders aggressiv abgelehnt wird. Man stelle sich einmal vor, man würde einem Juden, dessen Großvater in Auschwitz war, sagen „Ach weißt du, beim Verkehrsunfall sterben auch Leute.“ Die Aussage ist faktisch richtig. Dennoch in hohem Maße unpassend. Selbst eine Aussage wie „Aber Stalinismus war auch schlimm.“, wäre in diesem Zusammenhang taktlos, nicht, weil der Stalinismus harmloser wäre als der Nationalsozialismus, sondern weil man ein spezifisches Leiden nicht erst einmal respektvoll annimmt, sondern es sofort relativiert. Das kann nur einen Eindruck erwecken: Man nimmt das Leid der Person nicht ernst.

So ähnlich ist es mit #alllivesmatter. Man kann es dabei durchaus aus konträren Motiven nutzen: Der eine tut es aus dem Motiv heraus, zu leugnen, dass Rassismus ein echtes Problem sei. Das ist die sozusagen „anerkannte“, die allgemein und „intuitiv“ verständliche Lesart für einen „sozialmedial“ kompetenten Menschen. Nun kann man es aber auch sozusagen „aus Prinzip“ verwenden, weil man genau dies ablehnt. Um es klar zu sagen: Auch ich lehne ab, dass der wahre Satz „Jedes Leben zählt“ in verdrehender Weise verwendet wird um #blm zu relativieren, und ich lehne ab, dass er so gelesen wird. Denn diese Verkürzung und Verdrehung steht der Wahrhaftigkeit entgegen. Da soziale Medien aber eben so funktionieren, wie sie funktionieren, kann ich diese Ablehnung nicht zum Ausdruck bringen, indem ich #alllivesmatter selbst verwende. Ich kann einen Essay schreiben, wieso ich gegen die Art und Weise bin, in der er verstanden wird. Ein Buch. Ich kann es in einem Podcast erklären. Aber in dem Augenblick, in dem ich es öffentlich verwende, drücke ich für die Außenwelt seine vorgeprägte Bedeutung aus, nicht meine private, und auch nicht die, die Gott diesem Hashtag beimessen würde, wäre er der Geber aller Hashtags.

Wenn ich #alllivesmatter benutze, dann sage ich damit auf „twitterisch“: „Schwarze stellen sich an, Rassismus ist kein echtes Problem.“ Man kann sich nicht an einem amerikanischen College eine weiße spitze Maske überziehen, und wenn ich dann als Ku-Klux-Klan-Mitglied verhaftet werde, sagen „Aber hey, ich bin Spanier, und es ist Semana Santa“. Man kann nicht einen Hashtag benutzen und sagen „Hey, aber in meiner Welt bedeutet er etwas ganz anderes.“

Wer nun diesen Hashtag nicht nur benutzt, sondern auch noch den Schutz des ungeborenen Lebens damit in Verbindung setzt, der schafft auf twitterisch eine inhaltliche Verknüpfung zwischen beiden Themen: Er sagt, der Schutz ungeborenen Lebens und die Missachtung der Anliegen der Afroamerikaner gehören zusammen. Ich finde, das ist irgendwie eine ziemlich misslungene Botschaft. Die Menschen, die, wenn sie #alllivesmatter sehen, dies sofort mit rechtsextremen bzw. white supremacist Positionen in Verbindung bringen, werden nun auch den Lebensschutz damit in Verbindung bringen. Sie werden wahrnehmen, dass ein Mensch, der sich für das ungeborene Leben einsetzt, sich nicht für die Belange dunkelhäutiger Menschen interessiert. In Anbetracht der Tatsache, dass gerade dunkelhäutige Menschen von Abtreibung betroffen sind, ist das ungünstig und man verschenkt sogar die Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, dass #blm ohne Lebensschutz an einem entscheidenden Punkt unvollständig ist. Sie nehmen außerdem wahr, dass jemand, der sich für ungeborenes Leben einsetzt, außerstande ist, sich anderen Problemen ohne Whataboutismus zuzuwenden. Ist das das Bild, das ein Christ geben möchte von seinem Einsatz „für das Leben“? Ich hoffe nicht!

Nun kann man dagegen einwenden: Ja, aber, das liegt doch alles an der Unwahrhaftigkeit des Hashtags. Denn tatsächlich zählt doch jedes Leben. Das stimmt, aber das ist irrelevant. „Den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche zu sein“, bedeutet, die Lebenswelt des anderen wahrzunehmen, und die Wahrheit so zu formulieren, dass er sie in den Begriffen seiner Lebenswelt verstehen kann, wenigstens für den Anfang, damit er dann überhaupt den Mut, das Vertrauen und den Entschluss fassen kann, sich sogar bis zur Transformation seiner Lebenswelt führen zu lassen, wenn nötig (und dann eben auch in anderen Begriffen oder Begriffsbedeutungen denken zu lernen).

Natürlich kann sich die Bedeutung eines Hashtags auch ändern. Wenn genügend differenzierte Menschen #alllivesmatter nutzen und genügend Durchhaltevermögen haben, können sie die emotionale Empörungswelle überleben und haben dann ihren großen Auftritt, wenn wieder differenzierte, pseudonachdenkliche Töne als vorbildhaft inszeniert werden. Wer aber so ein wichtiges Anliegen hat wie den Schutz ungeborener Kinder, der sollte von derlei riskanten Unternehmungen vielleicht besser die Finger lassen: Gleichzeitig ein „neues Fass“, nämlich Lebensschutz, aufmachen zu wollen und davon auszugehen, man habe die Influencer-Superkräfte einer Kardashian, wird kaum funktionieren.

Wie viele Menschen, die bisher mit „Lebensschutz“ nichts zu tun hatten, und die entsetzt sind über rassistisch motivierte oder beförderte Tötungen und Morde, wie viele dieser Menschen werden erreicht, indem man ihnen sagt, dass ihr Problem kein Problem ist? Und hier hilft es, wie gesagt, ich wiederhole es in aller Deutlichkeit, nicht, dass man das ja gar nicht hat sagen wollen. Die Menschen verstehen es so und können auch gar nicht anders. Wenn ich darüber diskutieren will, dass ein sprachlicher Code nicht gut ist, so, wie er verwendet wird, muss ich ein Medium wählen, das differenzierte Stellungnahmen erlaubt. Der Hashtag erlaubt dies nicht.

Hier wurden wieder einmal völlig unnötig potenzielle Lebensschützer vergrault, Vorurteile bestätigt, Umkehr be-, wenn nicht verhindert.

Da dieser Artikel die Durchschnittslänge eines Tobias Klein-Blogeintrags noch nicht erreicht hat, erlaube man mir noch diese generelle Bemerkung: Viele bekennende Katholiken berufen sich auf das Wort an Timotheus (2. Tim 4), man habe zu predigen, ermahnen etc. ob gelegen oder ungelegen. Dabei begeht man schnell zwei Fehler: Man soll sich von dem Bekenntnis zur Wahrheit nicht abhalten lassen, bezogen darauf, ob es für einen selbst ungelegen oder gelegen ist, u.U. auch bezogen darauf, dass die Situation unpassend erscheinen könne. D.h. ich soll mich nicht von Nachteilen, die ich dafür erwarten muss, vom Bekenntnis abhalten lassen, oder denken, ich könne nicht von Gott reden, weil ich ja gerade nicht in der Kirche sitze, sondern unter Leuten. Der Sinn des Bekenntnisses ist aber, Menschen zu bekehren, weshalb „gelegen oder ungelegen“ nicht bedeuten kann, dass gleichgültig sei, ob die Botschaft ankommen könne oder nicht. Das wird noch klarer, wenn man zwei weitere Bibelworte berücksichtigt, nämlich die Ermahnung Jesu: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“ (Mt 10,16), sowie das Pauluswort, den Griechen ein Grieche und den Juden ein Jude geworden zu sein (1 Kor 9,20 ff): Es ist nicht verboten, sondern geboten, auch taktisch klug zu überlegen, wie man die Botschaft, die man hat, anbringt, sich in Mitteln, Ausdruck und Zeitpunkt anzupassen. Man muss hier ganz genau das eigene Motiv hinterfragen und aufpassen, dass man nicht die größere Ehre Gottes mit der eigenen Genugtuung verwechselt.

Heiliger Maximilian Kolbe, bitte für uns!