Das Sophie-Scholl-Syndrom

Meine Facebook-Wall läuft mal wieder heiß. So ziemlich alle meine links-grünen Freunde sind entsetzt über zwei Querdenker-Auftritte, bei denen sich ein Mädchen mit Anne Frank, eine junge Frau mit Sophie Scholl verglichen hat.

Nun möchte ich erst einmal der Form halber und aus ganzem Herzen feststellen, dass es natürlich unanständig, unangemessen und inakzeptabel ist, sich in der gegenwärtigen Situation mit solchen Persönlichkeiten gleichzusetzen, bzw. die gegenwärtige politisch-gesellschaftliche Situation mit dem Dritten Reich.

Bloß zeigt sich hier, dass die(se) Querdenker in ihrem Selbstverständnis haargenau aus demselben „ideellen“ Milieu stammen, wie meine links-grünen Freunde (und auch einige nicht links-grüne Freunde, die sich krampfhaft gegen rechts abgrenzen wollen). Denn beinahe jeder von denen hatte während der ersten Wahlerfolge der AfD irgendeinen NS-Vergleich auf Lager und kramt diese Rhetorik jedes Mal hervor, wenn die AfD oder die Sachsen (oder die Thüringer) irgendetwas sagen oder machen, was nicht im Sinne der Räterepublik ist. Ja, kürzlich postete einer ein Meme, in dem die kürzlich im Bundestag Herrn Altmeier anpöbelnden Störenfriede mit der SA (!) gleichgesetzt wurden. Die Stirn muss man erst einmal haben. Es ist ja quasi dasselbe, ob ich jemanden „Arschloch“ nenne oder ihn krankenhausreif prügle. *Not*.

Nur dummerweise scheint niemandem aufzufallen, dass qualitativ tatsächlich kein Unterschied darin besteht, ob ich, weil ich davon ausgehe, dass links immer gut und rechts von der SPD tiefbraun sei, herumkrakeele, wir hätten Weimarer Verhältnisse und irgendwann werde man seinen Kindern (die man aus Klimagründen ja nicht kriegen wird) erklären müssen, wie es dazu gekommen sei, und es sei ja plötzlich so klar, wie es damals so weit hatte kommen können und überhaupt, jetzt sei Heldenmut gefordert; oder ob ich eben meine, weil ich eine Maske tragen muss und der Staat meine Grundrechte einschränkt, sei ich Sophie Scholl II.

Tatsächlich ist Sophie Scholl eine beliebte Projektionsfläche gerade für die heldischen Träume jener, die besessen sind von dem Gedanken, besser sein zu wollen als ihre (Ur-)Großeltern – dabei wird natürlich immer vergessen, dass Sophie und ihr Bruder zuerst durchaus Mitläufer des NS-Regimes waren und eine Weile gebraucht haben, um seine verbrecherische Qualität zu verstehen (finde ich völlig verständlich, sie waren ja auch wirklich sehr jung). Aber egal, dann wollen wir halt sogar besser sein als unsere Heldin selbst. Think big! Ich habe mich über diese bodenlos freche Relativierung des NS-Regimes wegen so ein paar AfD-Hansln auch schon gebührend aufgeregt und gebührend Kloppe dafür erhalten, nicht dem „Weimarer-Verhältnisse“- und „Er ist wieder da“- Narrativ zu folgen. Wie kann ich nur so selbstständig denken, und das als Schwarze! Unerhört! Da ich doch als erste erschossen werden würde, müsste ich doch auch am ehesten einsehen, mindestens so gefährdet zu sein wie Sophie Scholl. Ja nee, klar.

Hier stehen Menschen, die einfach keine Instrumente mehr zur vernünftigen, rationalen Einordnung ihrer Situation haben, dafür aber völlig moralinübersättigt sind und außerdem dazu geneigt, sich immer als Opfer zu betrachten, weil die Welt sich nicht nach ihrem Kommando dreht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich finde die gegenwärtige gängelnde, die Demokratie mit Füßen tretende und den Bürger entmündigende Politik überhaupt nicht gut (und damit meine ich nicht, einzelne Maßnahmen seien zu streng oder nicht streng genug, ich meine nur, dass Parlament und föderale Strukturen zum Zuge kommen müssen, ich hab mir das mit der Demokratie ja nicht ausgesucht, aber wenn man Demokratie will, dann muss man sie auch durchziehen, zumal, wenn man gleichzeitig ständig auf Trump rumhackt…). Ich finde auch den Rechtspopulismus der AfD, ihr gezieltes Balancieren am rechten Rand und ihre Beförderung verbaler Entgrenzung in der Politik überhaupt nicht gut. Ich stehe also auf einem Standpunkt, von dem aus ich sowohl der Sophie-Scholl-Darstellerin als auch meinen links-grünen Freunden in der Sache grundsätzlich zustimmen würde. Der Pseudo-Heroismus und die pathetische moralische Überhöhung des eigenen Standpunkts und des angeblich daraus resultierenden oder drohenden Leids sind aber auf beiden Seiten gleich inakzeptabel, hysterisch, daher nervtötend, und vor allem zutiefst lächerlich.

Meine links-grünen Freunde sehen jetzt also schlicht einmal gespiegelt, wie ihr in den sozialen Netzwerken betriebener Heroismus von außen betrachtet aussieht: Plemplem.

Leider habe ich wenig Hoffnung, dass sie genügend Selbstreflexion besitzen, um das auch zu erkennen.