Piefikon Berlin
Ich liebe ja an sich Serien. Allerdings bin ich auch Bingewatcherin vor dem Herrn, weshalb ich normalerweise erst lange nach dem Hype einsteige und dann einfach alles auf einmal anschaue. Nachdem ich gehört hatte, dass in Babylon Berlin Konrad Adenauer diffamiert wird, war ich erst einmal entschieden dagegen, bevor ich mich dann durchrang und von den ersten beiden Staffeln auch angetan war. Berlin genauso dreckig und versifft wie heute und wie wir es lieben, aber plus existenziell und Zwanziger und so. Alletjut. Erstaunlich war angesichts des mittlerweile allgegenwärtigen pseudohistorischen Softpornos der einigermaßen sinnvolle Einsatz von Nacktheit, vor allem, wenn man bedenkt, dass es um Ermittlungen im Pornomilieu geht, und wir uns in den ach so verruchten Zwanzigern befinden. Und: Die Darstellung des Katholischen war erfreulich untypisch, wenn auch nicht völlig zufriedenstellend.
Ja. Und dann kam Staffel drei, und vorbei wars mit dem ersten erträglichen deutschen Filmprodukt seit Til Schweigers Geburt. Der piefige Mief hat uns wieder. Für wie blöd hält man uns eigentlich bei den deutschen Filmschaffenden? Ich finde es ja ohnehin immer gefährlich, wenn bezüglich der jüngeren Geschichte in diffuser Weise zwischen Fiktion und Historie laviert wird (deshalb fand ich z.B. auch Inglourious Basterds schwer erträglich, obwohl ich ansonsten Quentin Tarantino-Fan bin). So völlig langweilig aktuelle Probleme in ein historisches Gewand zu verpacken, geht aber noch einen Schritt weiter. Babylon Berlin, das ist Lindenstraße trifft Tatort.
Da wäre erst einmal das Verbrechen, das aufgemacht ist wie ein billiger Miss Fisher’s Murder Mysteries-Verschnitt. Wenn Glamour, dann Glamour, wie schon Teresa von Avila so treffend bemerkt hat. In mehreren Kritiken wurde genau die Optik des Filmsets gelobt – haben die Verfasser was geraucht? Als Täter konnte man einen Nazgûl verpflichten, der in den Coronawirren wohl offensichtlich versehentlich am Filmset gelandet ist. Eye roll. Spätestens ab der dritten oder vierten Folge (da, wo der hotte Nazi zum ersten Mal auftaucht und was von „Lügenpresse“ sagt) weiß man, wieso das Verbrechen so dämlich ist: Es soll auf gar keinen Fall davon ablenken, dass es hier darum geht, uns zu warnen. Achtung! Nazis sind voll böse, aber sie sehen voll hot und schneidig aus. Also, wenn du einen Mann triffst, der wie ein Mann ausschaut, dann aufpassen, es könnte ein Nazi sein! Dit ist jetzt vielleicht eine spezifisch weibliche, hormonell bedingte Lesart, aber in dem Sinne geht es weiter: Eine rechte Intrige, die auf die Weltwirtschaftskrise hinarbeitet? Echt jetzt? Double eye roll. Das ist einfach nur albern, egal wie exzentrisch und surreal man es darstellt.
Und dann das, was tatsächlich dann schlicht und einfach gar nicht mehr geht: Dass sich herausstellt, dass das Attentat auf den jüdischen Polizeipräsidenten Benda gar nicht von Kommunisten, sondern von Nazis begangen worden ist, würdigt den Film auf das Niveau billigen Schmierentheaters herab: Hätte man zugelassen, die Kommunisten in ihrer Zwiespältigkeit darzustellen, die Armenärztin neben dem Terroristen, dann hätte das eine gewisse Glaubwürdigkeit erzielt. Die Weimarer Republik war eben nicht links, bedroht von Rechten. Sie war Demokratie bedroht von rechts und links. Dies zu verzerren, ist nicht künstlerische Freiheit, das ist sträflich, denn das weiß ohnehin keiner mehr. Es wäre von höchster Bedeutung, das Gewaltpotenzial und die antidemokratischen Bestrebungen der Kommunisten damals darzustellen, nicht, weil man rechte und linke Gewalt von heute gleichsetzen will, sondern weil man begreiflich machen muss, dass damals eben nicht eine breite Koalition von Demokraten gegen Nazis und Rechtskonservative stand. Man hatte ja erst kurz zuvor in Russland gesehen, wohin es führte, wenn die hier in Babylon Berlin so netten Kommunisten an die Macht kamen. Das „Problem“ der Deutschen ist, dass die Kommunisten in dieser Situation in Deutschland nicht geschafft haben, was ihnen in Russland gelang. Dadurch, dass unsere Wahrnehmung alles Böse bei den Nazis verortet, gerät das kommunistische Übel völlig aus dem Blick oder wird gar indirekt als guter Gegenspieler betrachtet. Diese verblödende Verdrehung nehme ich den Machern wirklich übel. Wenn dann noch ein kommunistischer Armenanwalt in heldischer Manier davon spricht, er kämpfe für den Rechtsstaat, an den er glaube (an der Stelle habe ich mir beim Hagebuttenentkernen fast den Finger abgeschnitten vor Lachen) ist die Grenze des erträglichen Maßes an Propaganda überschritten. Da hilft auch nicht, dass die suspense, ob Lottchen Gereon jetzt nicht endlich mal aus seiner blutschänderischen Affäre reißen und mit ihm ein normal unzüchtiges Leben wird führen können, aufrechterhalten wird. Denn für Probleme dieser Art gibt es amerikanische und britische Liebeskomödien.
Womit wir beim letzten Kritipunkt wären, der allerdings nur ein Nebenaspekt ist: Babylon Berlin tut das, was alle deutschen Filme tun: Es verzichtet auf echte Menschen. Noch schlimmer im konkreten Fall: Man hat durch Zufall wenigstens einen Hauptdarsteller, der ziemlich echt ist, und versucht dann, diesen Fauxpas durch die Entwicklung der Person möglichst schnell zu beheben. Aber anstatt dann wenigstens so ehrlich wie amerikanische Liebeskomödien zu sein und mit der Schablonenhaftigkeit offen umzugehen, wird diese unendliche Spießigkeit in ganz viel Mief und „Ruchlosigkeit“ verpackt, um den Eindruck zu erwecken, man sei individuell: Hier ein bisschen Busen, da ein bisschen Blut, und vor allem überall tiefsinnige verlorene Blicke, und schon merkt keiner mehr, dass Bridget Jones mehr Tiefe hat als die Figuren hier. Das ist wie der Berlinerische Hipster-Dress-Code: Wir sind alle exakt so individuell, dass wir alle oversized Pullis zu oversized Hosen und hässlichen Schuhen tragen, einen Dutt auf dem Kopf (XX und XY alike) und niemals lächeln. Boah sind wir individuell. Dass man dabei eigentlich nur spießig, miefig, piefig ist, alles, nur nicht wirklich individuell, geht an dieser sich selbst feiernden Schicht komplett vorbei.
Da ich aber mit meinen Hagebutten noch nicht fertig bin (oookayyy…und da ich endlich will, dass Gereon Lottchen aus der Prostitutionshölle reißt und zu einer ehrlichen Frau macht und weil ich wissen will, was mit dem hotten Nazi passiert und weil ich sehen will, wie der neue rechtskonservative Polizeichef mit der bezopften Kommunistendarstellerin nach Las Vegas durchbrennt), werde ich die Staffel weiterschauen. Ich bin echt so ein dankbares Opfer für filmischen Schwachsinn!
Liebe Anna
Danke für die bissige Kritik. Hab ich Ihnen nicht in der Schärfe zugetraut.
Je länger Sie die Pause Teste gedrückt haben, desto länger muss Lottchen leiden. Bitte erlösen Sie sie!
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung 🙂 (für die Finger und so)
Interessant mag noch sein, wie Jordan Peterson das Aufräumen der ekelerregenden Zustände im desolaten Berlin, im heruntergekommenen Land durch die Nationalsozialisten beschreibt, vom Zyklon B zur Ungeziefervernichtung bis zur Entmüllung.
Man fragt sich, mit welcher Absicht man heute Ähnliches Zustände schafft. (Hadmut Danisch, der in Berlin lebt, beschreibt die Stadt ähnlich wie Sie Anna)
Entschuldigung, dass ich erst jetzt antworte: „ROFL“.
Bitte wie nicht in der Schärfe zugetraut? Ich versuche ja gerade, Satire zu vermeiden, weil ich mich sonst so beichtwürdig fühle…
Nun im Grunde weiß man ja nach einem Trailer – mit ästhetisch wehenden roten Fahnen – was die Absicht ist. Ich habe es dann gelassen, ich werde schon den ganzen Tag belehrt und mit Umerziehungsversuchen überschüttet, dann muss ich mir das nicht noch freiwillig antun.
Sehr gute Rezension, wie immer bei Dir (sorry, aber isso).
Meine eigenen zwei Sätzchen vielleicht später. Einstweilen die kleine Korrektur:
>>Dass sich herausstellt, dass das Attentat am jüdischen Polizeipräsidenten Benda gar nicht von Kommunisten, sondern von Nazis begangen worden ist,
ist mir ja selber ja gar nicht als besonders verkehrt aufgefallen, sondern bloß als „wir sind im deutschen Fernsehen“. Aber dazu vielleicht später mehr. Jedenfalls aber muß sich die Kritik an die *ganze* Serie richten; ich verstehe Dich so, daß Du es für eine Entwicklung in der Staffel 3 hältst, diese „Herausstellung“ ist aber definitiv schon in den Vorstaffeln so drin. (Die Stelle, wo sich der vorgebliche Kommunist Fritz über die Verfolgungen seitens RRat Benda aufregt, die – *tatsächlich* – sich sowohl gegen die Kommunisten, denen er vorgeblich, und Nationalsozialisten richtet, denen er tatsächlich angehört – und dabei in bezug auf Bendas Jüdischsein gerade so einen Tick in nationalsozialistische Diktion gerät, sich also fast verplappert, aber gerade noch so, daß man es als die Prise Antisemitismus deuten kann, die es sicherlich auch unter etlichen echten Kommunisten gegeben haben wird, die es ja jedenfalls später auch ganz regierungsoffiziell unter Stalin gehen würde, Stichwort „wurzelloser Kosmopolit“, ist dabei übrigens technisch ganz gut gemacht in Staffel 2.)
Für mich kam ja angesichts von „wir sind im deutschen Fernsehen“ die Darstellung der kommunistischen Armenärztin als (Spoiler alert?) kühl-intellektuelle Foltermeisterin, die – nicht etwa in einer Zornesaufwallung, sondern auf Grund rationaler Entscheidung – sich zum Foltern entschließt, dies dann ebenso kühl wieder abbrechen läßt, bevor das Opfer stirbt oder die Folter zumindest auffallen würde, aber nicht viel eher, und die das die ganze Staffel hindurch nicht bereut, durchaus etwas unerwartet.