Prior wird altkatholisch: Ein Lehrstück

„Früherer Prior von Kloster Andechs tritt aus katholischer Kirche aus“. Was für eine Schlagzeile. Nicht nur das, der ehemalige Prior Anselm Bilgri konvertiert zur altkatholischen „Kirche“. Man muss allerdings dringend berichtigend sagen, dass er schon 2004 aus dem Orden ausgetreten war. Es handelt sich hier also nicht um den Austritt eines Menschen, der am Herzen der Kirche lebte, sondern von einem, der sich schon vor geraumer Zeit auf den Weg gemacht hat, der Kirche den Rücken zu kehren. Dies wird aber wohl leider kaum wahrgenommen werden.

Eigentlich müsste ich über diesen Sachverhalt drei Beiträge bloggen; ich versuche aber, alle Aspekte in einen zu packen. Vielleicht gibt es dann zu den einzelnen Themen noch eigene Artikel, wenn es sich ergibt. Auf drei Punkte möchte ich eingehen (keine Angst, es wird gar nicht sooo lang):

  1. Die geistliche Krise, die in vielen Klöstern grassiert.
  2. Die Kirche und ihre guten Früchte werden unterminiert von Menschen wie Bilgri.
  3. Die altkatholische Kirche als Ersatz.

1. Viele Klöster stecken in der Krise. Wenn eine Gemeinschaft keine Berufungen hat und wenn bei einem Blick auf die Homepage Ordensleute fehlen, weil sie auf unbestimmte Zeit beurlaubt sind, dann ist etwas nicht in Ordnung. Klöster haben mangelnden Nachwuchs nicht, weil sie „von gestern“ sind, sondern, weil junge Leute sehr genau prüfen, ob die klösterliche Gemeinschaft authentisch ist und ihnen den äußeren Halt für inneres Leben geben kann, den es braucht. Deshalb haben strengere Gemeinschaften oft mehr Zulauf, wenn die „Strenge“ nämlich der Konsequenz und den Bedürfnissen des Glaubens geschuldet ist. Häufig werden aber Form, geistliches Leben und das eigene Leben nicht im Einklang gelebt. Resultat ist eine geistliche WG. Man trifft sich zum ach so schönen gesungenen Gebet und zum Weihrauchschwenken und lässt ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein. Von solchen inneren Verwerfungen im Charisma eines Klosters sollte ein Außenstehender eigentlich nichts mitbekommen. Wenn doch, dann liegt das entweder an zufälligen Begebenheiten, etwa einer Unstimmigkeit, derer man Zeuge wird, oder daran, daran, dass Mönche ihre innere Loyalität bereits so weit aufgegeben haben, dass sie Außenstehenden selbst davon erzählen. Das geweihte Leben ist hart: Man lebt in Armut, Keuschheit und Gehorsam, man wirft sich ganz auf Gott. Man ist „der Welt gekreuzigt“. Das ist eine Ansage. Wenn man dann aber Gott einen Teil dieses „ganz“ vorenthält, bekommt man auch nicht mehr genug Halt um diesen Lebensentwurf durchzustehen.

In früheren Zeiten konnte man da schlecht gehen, weil die eigene Versorgung nicht gesichert war. Heute wird eher darauf geachtet, dass Ordensleute abgesichert sind, z.B. durch eine Ausbildung etc.: Scheidung, das ist auch für Ordensleute heute oftmals als Option gegeben. Im Falle Bilgris ist der Kirchenaustritt keine Überraschung, er folgt auf den Austritt aus dem Kloster: Er hatte sich durch zu viel Betriebsamkeit dem Ordensleben entfremdet. Als dann ein neuer Abt dem Kloster eine geistlichere Ausprägung zurückgeben wollte (mal im Sommer in Andechs gewesen? Ein Bienenstock, kein Kloster), war der Eigenwille offensichtlich zu groß. Ganz deutlich ist hier die Verzerrung des benediktinischen Charismas: Aus „Ora et labora“ wurde „labora“ – zu wenig, um als Mönch leben zu können. In diesem Interview treffen wir auf ein beunruhigendes Bekenntnis: „Nach 25 „erfüllten und glücklichen Jahren“ als Mönch sei er nun dabei, sich „eine neue Existenz in München aufzubauen. Ich werde in den Bereichen Lebens- und Unternehmensberatung, Seminare und Kurse, Vorträge und Publikationen tätig sein.“ Wenn es das Kirchenrecht zulasse, wolle er auch weiterhin als Priester und Seelsorger tätig bleiben„. Ein Lebensabschnittsmönch. So würde auch eine 52-jährige Hausfrau und Mutter reden, die sich nun selbstverwirklichen möchte, aber die Bande zur Familie trotz Rucksacktrip durch Thailand nicht gänzlich kappen will. Jemand, der seine Priesterweihe als das „unauslöschliche Siegel“ begreift, das sie ist, der seine Berufung umarmt hat, würde das Gegenteil formulieren: Er würde sich im Gehorsam bemühen, in irgendeiner Form als Seelsorger weiterhin wirken zu können und seine wirtschaftlichen Tätigkeiten von der Erlaubnis der Kirche abhängig machen. Hier ist einer von der priesterlichen Berufung und der des geistlichen Lebens völlig abgerückt, sicher auch, weil seine umtriebigen und erfolgreichen Tätigkeiten damit schlicht nicht vereinbar und dann doch viel attraktiver waren: Erfolg statt Abtötung, das ist keine Versuchung, der man leicht widersteht.

2. Man fragt sich oft, wie es sein kann, dass, obwohl die Kirche doch durch die Jahrtausende hindurch so gute und heilsame Lehre proklamiert hat, so viel Schlimmes durch Katholiken vollbracht worden ist. Wieso haben Katholiken Hexen verfolgt, obwohl die Kirche den Hexenglauben als Aberglauben bekämpft hat? Wieso haben Kreuzritter Massaker verübt, wenn doch ihre Aufgabe war, christliches Leben im Nahen Osten zu schützen? Bilgri ist Teil der Antwort auf diese Frage: Nicht einmal das Ordensgewand ist Garant dafür, dass ein Katholik seinen Glauben wirklich glaubt. Es waren immer die der Kirche Ungehorsamen, die die Lehre der Kirche konterkariert haben. Und am meisten Schaden richten die an, die nach außen hin am engsten an die Kirche angeschlossen sind: Priester und Ordensleute. Wenn diese nicht leben, was die Kirche lehrt, dann kann das einmal direkte Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Kirche haben, z.B. wenn sie korrupt sind oder Kinder missbrauchen. Es gibt aber auch eine weniger konkrete geistliche Komponente, die man nicht vernachlässigen darf: Wir sind als Kirche eine enge Gemeinschaft. Die Verfassung jedes einzelnen Katholiken hat Auswirkungen auf die gesamte Kirche. Klöster nun sind Einrichtungen, deren Gebet die Arbeit der Kirche stützt. Sie tun das besonders wirkmächtig, weil sie eben im Gebet, in der Gemeinschaft und in der Einheit mit der Kirche den Auftrag Christi besonders direkt umsetzen: Ihr Gebet ist unermüdlich sie konzentrieren sich ganz auf Heiligung, werden durch keinerlei weltliches Streben davon abgehalten. Wenn nun ausgerechnet diese „Akkus“ der Kirche leer sind, wenn sie innerlich ihre Energie nicht mehr zur Ehre Gottes aufwenden, dann fehlt der Kirche nicht nur „Praypower“, ihr wird auf gewisse Art auch noch Kraft entzogen.

Es ist zu begrüßen, dass Bilgri wenigstens jetzt ehrlich ist und die Konsequenz aus seinem Unglauben zieht. Aber wie lange hat er an den Wurzeln der Kirche genagt, durchaus ohne es zu wissen womöglich (da möchte ich wirklich niemandem aktiven Willen unterstellen)? Dass er das getan hat, lässt sich aber gar nicht leugnen. Er selbst sagt, er „glaube nicht mehr an den aufrichtigen Reformwillen“ der Kirche. Das bedeutet, dass er schon seit geraumer Zeit nicht mehr an die Lehre der Kirche geglaubt hat, sondern nur noch in ihr verblieb in der Hoffnung, sie möge anders werden, ihre Lehre ändern. Man erinnert sich an das Schreiben der Kölner Priester des Weihejahrgangs 1967, in dem deutlich wurde, dass vor 50 Jahren viele Männer die Weihe in dem Glauben empfangen hatten, der Zölibat und andere Bestandteile kirchlicher Lehre würden fallen, und die in diesem Irrglauben dann ansehen mussten, dass die Kirche sehr klar dieselbe blieb, egal, wie viele Menschen sich dagegen wandten. Solche Schicksale sind wirklich tragisch, denn am Ende wird nicht die eigene Ignoranz, die eigene Realitätsverweigerung verantwortlich gemacht, sondern die böse Kirche, die sich nicht verändert.

3. Ein Übertritt zur altkatholischen Kirche ist eine ganz besonders traurige Angelegenheit. Sie ist untrügliches Zeichen dafür, dass ein Mensch die katholische Kirche in ihrem inneren Wesen nicht zu begreifen im Stande ist und sich mit Äußerlichkeiten zufrieden gibt. Denn Altkatholizismus kündigt die innere Folgerichtigkeit des Glaubens auf, um sich in einem Showkatholizismus zu ergehen. Wir haben keine Priester, aber wir nennen sie so, denn dann können wir weiter Messe spielen, mit Weihrauch, Gewändern und Ikonen, ohne die innere Stringenz all dieser Ausdrucksformen in ihren Konsequenzen leben zu müssen. Nicht umsonst ist die altkatholische Gemeinschaft (wenn sie auch Wert darauf legt, dass die Utrechter schon immer aufsässig waren, zweifelhafte Auszeichnung) ein hundertprozentiges Kind der Moderne, das sich der Einheit mit dem Papst verweigerte. Hier herrscht ungeniert Zeitgeist, und nur Zeitgeist. Reformierte Christen haben ja, wenn sie es auch theoretisch leugnen, selbst eine Glaubenstradition und sind z.B. in verschiedenen mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Ausdrucksformen des Glaubens verwurzelt. Man sieht das z.B. an der Abendmahlspraxis, die aus „seltener Kommunion“ „seltene Mahlfeier“ machte, oder an den oftmals ungeglätteten Choraltexten, die uns doch einiges abverlangen. Auch existieren innerhalb der evangelischen Bekenntnisse halsstarrige „Ewiggestrige“, die Zugeständnisse an Moderne und Postmoderne deutlich schroffer ablehnen als normale konservative Katholiken. Die altkatholische Kirche dagegen wirbt mit ihrer demokratischen (!) Verfasstheit und vor allem indirekt damit, dass niemand sein Leben an Gottes Willen anpassen muss: Man kann völlig selbstbestimmt leben, wie immer man will, und die altkatholische Gemeinschaft räumt allen Lebensentwürfen ein, sie seien gottgewollt. Wie das glaubwürdig sein soll? Keine Ahnung, aber es ist attraktiv, wenn man auf der Flucht vor sich selbst ist und die eigene Unzulänglichkeit nicht bekennen will. Es ist also irgendwie folgerichtig, dass ein geflohener Mönch, der sein Leben nicht der geistlichen Regel hat unterwerfen wollen, am Ende nicht einmal mehr die Kraft hat, die katholische Kirche zu bekennen.