Los von Rom #2 – Wem wollen wir dienen?

„Los von Rom“, das ist keine neue Idee. Seit jeher wird damit geliebäugelt. Allerdings hätte Norbert Lammert – und hätte auch schon Kardinal Marx, der seinerzeit ablehnte, „Filiale“ von Rom zu sein – lieber einmal recherchieren sollen, mit welchen Bewegungen und Tendenzen man sich gemein macht, wenn man fordert, sich von der „Bevormundung“ durch Rom zu „befreien“.

Lammert spart sich leider den Blick in die Geschichte. Ich vermute, dass das u.a. an einem unter Eliten verbreiteten, hoffnungslos modernen Menschenbild liegt: Der prometheische (ist das das richtige Wort? Erschlagen vom eigenen Intellekt, autsch) Mensch, also, ihr wisst, was ich meine, der fortschrittliche, der sich zu den Göttern aufschwingende Mensch. Dementsprechend sind die Menschen von früher dümmer, abergläubischer, leichtgläubiger, leichter zu fanatisieren etc. Heute ist alles ganz anders. Komisch nur, dass die schlimmsten Völkermorde allesamt im 20. Jahrhundert stattgefunden haben, als wir schon unheimlich schlau und wenig fanatisierbar waren, und seltsam, dass gerade jetzt Fake News, Aluhüte, Populismus und Verschwörungstheorien blühen, obwohl wir doch alle so viel wissen. Nicht zu reden davon, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung Traumfänger kauft oder Gluten und Laktose für lebensgefährlich hält. Dabei sind wir doch so aufgeklärt. Und da sehen wir eben: Diese Vorstellung ist völlig überholt. Sie ist seit 200 Jahren nicht mehr taufrisch und seit 100 Jahren direkt altmodisch, völlig out. Kommt bitte im 21. Jahrhundert an. Wir sind postmodern. Wir glauben nicht mehr an den Fortschritt des Menschengeschlechts, weil der Fortschritt des Menschengeschlechts uns in Schutt und Asche gebombt hat. Wie wäre es damit, das einfach mal zu rezipieren?

Zurück zum Thema: Da Menschen immer ungefähr gleich klug und gleich dumm waren, ist es durchaus sinnvoll, mal in die Geschichte zu schauen und sehen, was passiert ist, wenn Leute Rom Adieu gesagt haben, in Herrn Lammerts Diktion: Sich von der Bevormundung durch Rom befreit.

Wann immer sich irgendwer von Roms Prinzipien gelöst hat, hatte das negative Effekte, weil es die Gläubigen zum Spielball der Zeiten und ihrer „Erfordernisse“ und Voraussetzungen gemacht hat. Beispiele?

  • Bis ins 11. Jahrhundert etwa hatten Juden eine rechtlich und theologisch klare Position. Ihr Besitz, ihre Glaubensausübung waren gesichert, Zwangstaufe verboten. Als sich die Leute dem Zeitgeist zu- und von Roms Lehre abwandten, begannen sie, Juden zu töten. Bis 1096 konnten sie meist vom Papst oder seinen Vertretern noch gehindert werden (z.B. 1010 in Orléans), dann brachen sich die allseits bekannten Pogrome fanatisierter Kreuzfahrer bahn, trotz der Versuche der Bischöfe, die Juden zu schützen. Bevormundung durch Rom: wenig. Blutzoll: hoch.
  • 13. Jahrhundert: Das vom Papst (ist eigentlich klar, aber man muss es betonen) exkommunizierte Kreuzfahrerheer scheitert vor Jerusalem und denkt sich – lasst uns doch einfach Konstantinopel einnehmen. Bevormundung durch Rom: zéro. Blutzoll: hoch. Kulturelle Folgen: devastating.
  • Frühe Neuzeit: Die Kirche hatte den Hexenglauben in Schach gehalten, insbesondere die Inquisition sorgte dafür, dass der Aberglaube in katholischen Ländern wenig Schaden anrichtete. Kaum hatte ein kleiner Augustinermönch zu Wittenberg „Los von Rom“ gerufen, änderte sich das für die Gebiete, die konfessionell zersplittert waren oder der Reformation zufielen. Denn die Bibel war ja jetzt wörtlich zu nehmen, man hatte es auf Deutsch vorliegen, dass die Zauberin zu töten sei, und tststs, die Papisten handelten gegen Gottes ausdrücklichen Befehl?! Bevormundung durch Rom: zéro. Blutzoll: hoch. (Hier war der deutsche Episkopat übrigens anders als 1096 schon genauso zeitgeistig drauf wie der Heutige und hat munter mitgemacht.)
  • Was passierte in Frankreich, weil man nationale Interessen der Bindung an Rom vorzog? Gallikanismus und Kriegstreiberei im Dreißigjährigen Krieg. Bevormundung durch Rom: Vehement abgelehnt. Blutzoll: Immens.
  • Was geschah, als die Spanier nach der Reconquista die gleiche Würde der Getauften leugneten und ihr von Rom abgelehntes Konzept der limpieza de sangre („Blutsreinheit“) durchsetzten? Ein protorassistisches Konzept war geboren. Bevormundung durch Rom: No, gracias, somos Españoles orgullosos, olé. Blutzoll: eher nicht, aber nachhaltiges Übel.
  • Als die Aufklärung mit ihrem Menschenbild die Abstammung der Menschen“rassen“ vom gleichen Ursprung als kirchliche Fabel ablehnte und meinte, Neger könnten ja schwerlich eine ebenso edle Abstammung wie sie haben? Bevormundung durch Rom: Verspottet und abgelehnt. Blutzoll: Nicht ermittelbar.
  • Als Conquistadores und andere Kolonialisten ihre Interessen über die kirchliche Lehre stellten? Raub, Mord, Sklaverei. Und als die Kirche sich mit dem Schutz der Indios halbwegs durchsetzte, ja, da begann man eben Schwarzafrikaner zu verschleppen, s.o. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg an Rom vorbei. Bevormundung durch Rom: Abgewehrt. Blutzoll: Immens.
  • Und, weder last noch least: Die Originale „Los-von-Rom“-Bewegung, deutschnationale Agitation, die sich mit diesem Slogan im Rahmen des Kulturkampfes gegen das multiethnische und übernationale Selbstverständnis der Katholiken richtete: Vorkämpfer war Georg von Schönerer, ein antisemitisches und antihabsburgerisches Granatenarschloch (sorry). Bevormundung durch Rom: Militant abgelehnt . Blutzoll: Nicht messbar (hat gewisse Postkartenmaler stark beeinflusst)

Diese Liste ist unvollständig, und sie versammelt ganz unterschiedliche Beispiele. Natürlich war auch der Anteil von Romfeindlichkeit ganz unterschiedlich. Mal war Rom einfach nicht da oder weit weg, mal gab man Roms Wünschen einen individuellen Twist um zu kriegen, was man wollte, mal agitierte man bewusst gegen den Papst oder gegen die Kirche. Ich denke aber, dass es durchaus interessant ist, einfach mal auf sich wirken zu lassen, was in der Geschichte so alles gegen Roms Intention und / oder gegen Roms (ausdrücklichen) Willen geschehen ist, weil Zeitgeist, Eigeninteressen, nationale Alleingänge, Populismus, Fanatismus und mangelnder Durchblick Menschen vergessen lassen, wonach sei eigentlich streben sollten. Obwohl man ja nun wirklich nicht sagen kann, Rom sei ein von Politik und Eigeninteressen freier Raum, muss man doch einfach zugeben, dass die schlimmsten Irrtümer der Menschheit, und ich habe hier bewusst auf die blutigsten Irrtümer des 20. und 21. Jahrhundert verzichtet, an Rom abgeperlt sind, dass es vor ihnen gewarnt hat, auch prophetisch gegen viele Unkenrufe, Rom sei doch bloß von gestern. Ganz ehrlich gesagt ist es für mich persönlich auch ein Indiz für die Führung durch den heiligen Geist, dass von einem Ort, an dem so viele verrottete und kriminelle Menschen Macht ausgeübt haben, so viel weitsichtige Leitung für die gesamte Menschheit hat ausgehen können. Und wir sehen hier eben auch, dass die konkrete Leitung durch den heiligen Geist das Risiko von Fehlern weitaus effektiver verringert als jede mehrheitsgestützte Form der Meinungsfindung. Weil er sich nicht davon beeinflussen lässt, was Menschen gerade gut finden.

Im Augenblick geht es „nur“ um innerkirchliche Fragen, aber wir sehen an den evangelischen Gemeinschaften, wie schnell es auch um Leben und Tod gehen kann: In Sachen Abtreibung, in Sachen Sterbehilfe z.B. Und wir sehen da ein tiefrot blinkendes Warnschild, das uns auch ohne Geschichtskenntnisse sagt, was passiert, wenn man sich von Rom „befreit“: Man zerbricht dieses Joch, um sich bereitwillig zum Diener jeder beliebigen Ideologie, jedes Zeitgeistes zu machen. Womit wir zu Teil III kämen … der Synodale Weg und das Bildungsproblem (aber nicht mehr heute…*abonniert* den Blog doch einfach…)

Disclaimer: Ich bin stolz darauf, dass dieser Artikel ohne Godwins Gesetz auskommt: Meine Argumentation ist stichhaltig auch ohne den Hinweis darauf, dass unter *Hitler* (der übrigens von Schönerer beeinflusst wurde…) die evangelischen Gemeinden nicht geschlossen zum Widerstand fanden, sondern sogar teilweise ein nationalsozialistisches Christentum proklamiert haben, während die römische Kirche nicht bloß geschlossen gegen Hitler opponierte, sondern prophetisch ihren Gläubigen nationalsozialistisches Engagement schon vor der Machtergreifung verboten hatte. Dies wäre natürlich das sinnfälligste, offensichtlichste Beispiel gewesen, dafür, wie wichtig die Bindung an Rom ist, aber ich habe darauf verzichtet. Dafür wünsche ich mir Anerkennung! Danke!

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