Rettet die Einhörner! – Anmerkungen zur Einheitsübersetzung.

Vor einiger Zeit schrieb mir einen Freundin enthusiastisch, die Lutherbibel sei so toll, da kämen ja Einhörner drin vor. Ich zuckte innerlich mit den Achseln, Einhörner begleiten mich in meinem Gebetsleben, wenn nicht auf Schritt und Tritt, so doch mit der gleichförmigen Regelmäßigkeit des Stundengebets. Wieso Luther, das hat er doch bloß aus der Vulgata abgeschrieben (respektive Septuaginta, da ist es nämlich auch schon ein „Ein-Horn“.). Doch dann googelte ich, und mein Unverständnis wandelte sich in Entsetzen: Die Einheitsübersetzung hat die Einhörner abgeschlachtet! Alle! Und plötzlich wundert mich am Zustand der deutschen Kirche gar nichts mehr. Kein Wunder, dass der Glaube leidet, wenn alles Geheimnisvolle einfach aus der Schrift getilgt wird: Die rationalistische Säuberung „Aktion Keinhorn“.

Gut, werden wir noch einmal kurz sachlich: Ja. Es ist vom Kontext her möglich, dass die alttestamentlichen Stellen, darunter so prominente wie Psalm 22, der Leidenspsalm Jesu, mit dem hebräischen Wort Re’em kein Fabelwesen meinen, sondern ein echtes Tier. Für einige heiße Anwärter, Gazelle und Antilope, gibt es in der hebräischen Bibel allerdings je eigene Begriffe, genau wie für Stiere, Ochsen etc. Es gibt linguistische Hinweise darauf, dass es sich um einen Auerochsen handeln könnte (Quelle: Wikipedia, ich gebe es unumwunden zu, ich mache jetzt keine archäozoolingu…istische… Studien.). Ich persönlich finde die Auerochsen-Hypothese als Erklärung ganz sinnig, weil hier in gewisser Weise eine Schnittstelle zwischen mythologischem Urwesen und Tier besteht: Eben ein Tier, das es schon seit Urzeiten gibt. Denn natürlich hat das Judentum mythologische Komponenten, und denen zufolge ist das Re’em sehr wohl ein Fabelwesen. Die Idee mit dem Einhorn ist also keine isolierte Erfindung von Christen, sondern eingebunden in die jüdische Tradition. Lustigerweise fand ich, kaum dass ich diesen Satz geschrieben hatte, diesen interessanten Blogartikel, der diesen Umstand ausführt. Als großer Fan des Judentums bin ich natürlich immer sehr dagegen, Bezüge zu dieser Religion zu tilgen, vor allem, wenn dies stillschweigend und intransparent geschieht.

Nur, weil man nicht weiß, welches Tier mit Re’em gemeint ist, ist es also nicht textgetreuer (oder „textsinngetreuer“), das Fabelwesen einfach rundheraus auszuschließen. Die Bibel hat davon schließlich noch ein paar andere zu bieten. Abgesehen davon, dass ja auch ein bereits ausgestorbenes Tier aus grauer Vorzeit gemeint sein könnte, das dann als Re’em in der Erinnerung erhalten geblieben ist oder dessen Legende auf Knochen- bzw. Fossilienfunden (oder einfach alten Geschichten) beruht.

An dieser Stelle habe ich mich natürlich gefragt, was die Einheitsübersetzung eigentlich mit Behemoth und Leviathan gemacht hat, und eine kurze Stichwortsuche auf bibleserver verrät: Gegrillt. Kein Artenschutz für biblische Urwesen, wo ist eigentlich PETA? Behemoth wird zu Nilpferd. Der Leviathan wird bei Hiob mal übernommen (Leviatan, kein Geld für ein th?), und mal zum „Krokodil“ abqualifiziert. Das ist noch schlimmer als der Einhornochse, weil hier aus einem Wesen zwei gemacht werden, ohne dass der Leser dies nachvollziehen kann. Er muss davon ausgehen, dass im Text zwei unterschiedliche Worte stehen. Das ist extrem undurchsichtig und damit wären wir dann wieder beim Einhornproblem:

Die Einheitsübersetzung wählt, man bleibt sich treu, den undurchsichtigsten Weg der Übertragung: Sie übersetzt Re’em mal mit Wildstier und mal mit Büffel, und verzichtet auf eine Anmerkung. Okay, da könnte man jetzt sagen, das sei ja irgendwie dasselbe. Tier mit Hörnern. Ja, dann könnte man aber auch genau das schreiben. Nebenbei: Die Einheitsübersetzung scheint ohnehin ein freudsches Problem zu haben: Sie lässt die Übersetzung des Wortes „Horn“ auch schon mal einfach weg, wenn es ihr redundant oder zu toxisch phallisch-maskulin vorkommt, oder macht irgendwas mit „Stärke“ daraus. Bloß keine Sensibilität für antike Sprachbilder erhalten, wo kämen wir denn da hin?

Wie dem auch sei, man könnte ja auch „Wildstier“ als Übersetzung durchhalten – mit einer einfachen kurzen Anmerkung. Alles mögliche merken die an in der EÜ, wieso das nicht? „Wildstier“ ist ja (nehme ich als zoologischer Laie jetzt mal an) eine poetische Entsprechung von Auerochse. Aber das Maß ist noch nicht voll, es gibt nicht nur keine Anmerkung dazu, dass hier auf ein Tier Bezug genommen wird, dessen Identifizierung unsicher ist. In Psalm 22 etwa wird einer Anmerkung, die sich allerdings auf einen anderen Sachverhalt des Verses bezieht, behauptet, der Griechische Text besage „Büffel“. Was nicht stimmt. Da steht μονοκερώτων (monokeroton). Das ist also eine Ungenauigkeit, die an Verfälschung heranreicht, und das bloß, weil phantasiebefreite Antipoeten der Meinung sind, sie dürften uns Einhörner vorenthalten.

Mir ist völlig klar, dass die Verwendung des Wortes „Einhorn“ schwierig ist, weil es völlig andere Assoziationen weckt, als der Kontext der Bibel nahelegt: Wir verstehen unter Einhorn (heute) etwas Schlankes, Nettes, Regenbogenwölkchen Pupsendes, jedenfalls etwas Harmonisches, vielleicht Zartes, auch etwas Mädchenhaftes. Die Bibel meint etwas Wildes, Starkes, Machtvolles, Gefährliches. Bloß: Wieso muss sich der Bibeltext uns anpassen? Er war doch vor uns da!

Okay, nun zur Praxis (die deutsche Kirche nennt das „Lebensrealität“): Wieso brauchen wir Einhörner? Ist das überhaupt eine Frage? Wir brauchen Einhörner, weil sie die Welt bunt, faszinierend und geheimnisvoll machen. Weil sie dafür sorgen, dass man sich darüber bewusst wird, dass die Bibel kein x-beliebiger Text ist, den man einfach aus dem Bauch heraus versteht. Kein Mensch stolpert über „Wildstier“. Über Einhörner stolpert man und fragt sich, was sie da machen, in der Bibel.

Übrigens: Auch bei Luther wurden die Einhörner mittlerweile getilgt. Bloß dass hier eine kleine Anmerkung besagt, dass Luther mit „Einhörner“ übersetzt hat. Geht doch. Die Katholiken dagegen retuschieren das Einhorn heraus wie Stalin Trotzki aus Photographien der Russischen Revolution: Spurlos.

Eine Übersicht über die biblischen Einhörner findet man übrigens auf dem Blog Kotzendes Einhorn.