Lourdes und die Unbefleckte Empfängnis – eine bescheidene Annäherung
Ich möchte jedem Menschen auf dieser Welt dringend ans Herz legen, Franz Werfels „Das Lied von Bernadette“ zu lesen. Dieses Werk eines Nichtchristen über Bernadette Soubirous und die Erscheinung der Gottesmutter in Lourdes gehört meiner Ansicht nach nicht nur zu den besten literarischen Werken überhaupt – es ist für unsere Zeit überaus wichtig, weil heutzutage so viele „Säkulare“ davon ausgehen, die Dimension des Glaubens sei eine, die man eben persönlich annehmen müsse, es sei nicht möglich, sie als „Außenstehender“ zu erfahren. Unser Glaube aber ist nicht mythisch, sondern wirklich, vernunftgemäß und bis zu einem gewissen Grad verifizierbar (Obacht: Bis zu einem gewissen Grad), er ist nicht nur selbst von außen wahrnehmbar, sondern auch das, worauf er sich bezieht, kann ohne Glauben wahrgenommen werden. Letzterer Sachverhalt ist vielleicht etwas zu abstrakt ausgedrückt, ich illustriere ihn mit einem Beispiel: Ein Nichtgläubiger kann natürlich einen knienden, anbetenden Menschen sehen und beobachten, dass da einer glaubt. Er kann aber darüber hinaus auch wahrnehmen, dass da tatsächlich etwas (jemand) ist, dem Anbetung gebührt. Er kann das Heilige wahrnehmen – der nächste Schritt wäre dann, sich einzugestehen, dass es das Heilige sein muss.
Zu dieser Einsicht wollen aber die wenigsten Nichtgläubigen vorstoßen und so ziehen sie es vor, auch die Vorstufe der Beobachtung bereits zu ignorieren bzw. zu leugnen. Sie behaupten materialistisch, der beobachtete Glaube bezöge sich auf eine ausschließlich im Gläubigen liegende Dimension (seine Hirnströme z.B.), die sich daher auch der rationalen Erörterung verweigert. Werfel dagegen wollte es, er ist bis dahin und deutlich weiter vorgedrungen. Diese Buch ist das Glaubensbekenntnis zum Christentum durch einen Nichtchristen, und es ist bezeichnend, dass es zugleich ein marianisches Bekenntnis ist: Marienerscheinungen sind deshalb ein besonders wirksames Instrument Gottes, weil sie entweder von Jedermann gesehen werden, also auch von denjenigen, die nicht glauben, oder, weil Begleiterscheinungen von Jedermann gesehen werden (z.B. das Sonnenwunder von Fatima) oder weil die Präsenz des Göttlichen dabei so spürbar ist, dass auch, wenn die Erscheinung selbst unsichtbar ist, der Nichtgläubige anerkennen muss, dass hier ein tatsächliches Geschehen vorliegt. Diese Präsenz scheint so gewaltig zu sein, dass sie auch Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte nach der Marienerscheinung zu Bekehrungen führt.
Dies ist nun aber besonders spannend. Denn während man einem Nichtgläubigen ja nun noch einigermaßen begreiflich machen kann, dass es Gott geben muss, ist doch Maria als beinahe exklusiv katholisches (und orthodoxes) „Glaubensgut“ geradezu abseitig: Da ist diese Frau, und weil sie Gott geboren hat, reserviert man eine besondere Verehrungsstufe für sie, die über die Verehrung gewöhnlicher Heiliger hinausgeht. Man ehrt sie mit unzähligen Gesängen, empfiehlt sich ihr in Leben und Tod, ruft sie in jeder Not um Hilfe an, liebt sie mit kindlichem Vertrauen etc. etc. Obwohl diese Verehrung seit der Reformation heftig bekämpft und diffamiert worden ist und unter dem Banner von „aufgeklärtem“ Glauben mit Polemik und Verachtung übergossen wurde und wird, bleibt sie Gottes bevorzugtes Werkzeug um die Menschen zum Glauben zu führen. Es gibt ja den Ausspruch, dass es für den Teufel besonders demütigend sei, von einer Frau bezwungen zu werden und nicht von Gott selbst (ich habe mal wieder keine Ahnung, von wem das nochmal war), und vielleicht ist das Teil der Strategie: Ein durch Maria Bekehrter wird nicht selten an der Stelle bekehrt, die er besonders abgelehnt hat: Muslime werden hier genau am neuralgischen Punkt der Menschwerdung gepackt, Protestanten bei der Mitwirkung am Heil und bei der Anrufung der Heiligen, Skeptiker beim Vertrauen, Revoluzzer beim Gehorsam. Maria packt jeden an seinem Schwachpunkt und zieht ihn in die katholische Kirche hinein.
Lourdes ist eine besonders eindrückliche Marienerscheinung, weil sie eine innerkirchlich lange umstrittene Glaubensfrage im Sinne des Lehramtes bestätigt hat: Durch den Mund eines ungebildeten einfachen Mädchens wurde den großen Theologen und Bischöfen die hohe, komplexe und verborgene Theologie der Unbefleckten Empfängnis bezeugt. Und dies eben genau zu einer Zeit, in der Rationalismus und Materialismus bereits Wurzeln geschlagen hatten: Die Zeitgenossen empfanden ihre Epoche als Zeit des Fortschritts, der Industrialisierung, der Wissenschaft. Nichts war 1858 unzeitgemäßer als eine Erscheinung der Jungfrau Maria, die sich dann auch noch als „Unbefleckte Empfängnis“ vorstellt.
U.a. sieht man hier die Gemeinschaft im Leib Christi, in dem alle zusammenwirken, gleich welchen Standes. Die Unbefleckte Empfängnis gehört sicher zu den wichtigsten Titeln, unter denen wir Maria anrufen: Viele von uns tragen die Wundertätige Medaille, Lourdes-Grotten überziehen den Erdkreis. Diese praktische Bedeutung kommt daher, dass sie betend angenommen und erfahren wird. Darum führt meiner Ansicht nach kein marianisches Dogma so unmittelbar zur Demut, die wir brauchen, um Gott nahe sein zu können: Ganz egal, wie schlau wir sind oder für wie schlau wir uns halten, hier muss man einfach hinknien und beten, und dann wird man wissen, warum. Oder auch nicht wissen, warum, aber wissen, dass. Es ist erstaunlich, dass, während die Andacht zur Unbefleckten Empfängnis von den Gläubigen mit großem Eifer und großer Selbstverständlichkeit betrieben wird, gefühlte 99% der Nichtgläubigen (und ein Gutteil der ungläubigen Getauften) den Inhalt von Titel und Dogma gar nicht kennen und mit der Jungfrauengeburt verwechseln. Dies ist ein sehr beredtes Beispiel dafür, wie fremd Ecclesia und Welt einander sind.
Für mich als Protestantin war es das Dogma, das sich mir einfach nicht erschließen wollte. Ich hielt es erst für überspannt, dann für unerheblich, und war dann irgendwann so weit, dass ich katholisch wurde in der Überzeugung, dass Gott mir das schon noch erklären würde, wenn es wichtig wäre. Heute ist mir dieses Dogma besonders lieb, ohne dass ich sagen könnte, ich hätte es vollumfänglich „verstanden“. Ich kann es nicht verstehen, ich kann mich nur davon ergreifen lassen, es umarmen. Wissend, dass ich seine ganze Bedeutung wahrscheinlich nie werde ermessen können. In dieser Glaubenswahrheit äußern sich die Liebe Gottes, seine Fürsorge, seine Vorsorge, sein Respekt vor unserer Freiheit, seine Feinfühligkeit und Menschenfreundlichkeit in einer Ganzheitlichkeit, die mich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, überwältigt. In der Unbefleckten Empfängnis erweist Gott den Überfluss und Überschwang und die unendliche Fülle seiner Liebe, die sich nicht mit einem einfachen Rettungswerk begnügt, sondern uns ganz umfassend hineinnimmt in sein Erlösungswerk.
Bitte für uns, o Maria ohne Erbsünde empfangen, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen!
„Dieses Werk eines Nichtchristen über Bernadette Soubirous …“
Interessant ist ja, dass Franz Werfel den Roman wie Alban Berg sein berühmtes Violinkonzert Manon Gropius gewidmet hat, der Tochter Alma Mahler-Werfels, die 1935 im Alter von 16 tragisch gestorben ist. Mir scheint, dass Franz Werfel den Katholizismus in den frühen 30er sehr genau in seiner eigenen Familie studieren konnte. Zu dieser Zeit hat sich Alma Mahler-Werfel wieder dem Katholizismus zugewandt und darin sowohl ihre Tochter Manon als auch ihre eigene Mutter Anna Sofie Moll beeinflusst – letztere beiden ließen sich 1933 taufen. Taufpriester war Johannes Hollnsteiner, Almas Beichtvater, Kirchenhistoriker und Ordinarius für Kirchengeschichte an der Uni Wien, zugleich Vertrauter von Schuschnigg und ein exponierter Vertreter des Ständesstaates (dass er auch Almas Geliebter gewesen sein soll, ist ohne Beleg und wohl nur ein sensationsgeiles Gerücht – Almas Leben ist so schon interessant genug). Nach dem sogenannten Anschluss kam Hollnsteiner für mehr als ein Jahr in KZ-Haft, und es scheint, als habe Werfel zugunsten seiner Entlassung intervenieren können, bevor Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel selbst in die USA fliehen mussten.
Die Rückwendung Alma Mahler-Werfels zum Katholizismus wird genauso stark unterschätzt wie die Rückwendung Werfels zum Judentum, die auch in diese Zeit fällt. Franz Werfel hat einen Blick von innen und außen zugleich.
Sehr schöner Text übrigens! 🙂
(Fern von Frau und Familie und dazu Lockdown. Ich hocke einfach zu viel vorm Rechner…)
Irgendwo, ich meine im Nachwort der dtv-Ausgabe, wird Werfel zitiert mit einem Ausspruch der sinngemäß sagt, er würde Christ werden, kann aber nicht, weil sein Volk von Christen verfolgt wird. Ist jetzt extrem verkürzt, ich hoffe, es ist klar, was gemeint ist. Ich verstehe das einerseits, andererseits hat es eine Edith Stein auch nicht davon abgehalten.
Interessant. Ich habe mich mit Alma Mahler nicht eingehend befasst, jedenfalls nicht, was ihr Privatleben betrifft. Ich bin nicht so der fin de siècle-Mensch, ich finde die Zeit faszinierend, aber die Leute und ihre Probleme sind mir zu anstrengend. Und gerade bei ihr nerven auch die Trivia, die anscheinend als interessanter empfunden werden als die Frau selbst.
Weil das nur eine Fußnote zur Fußnote ist und von Ihrem eigentlichen Artikelthema wegführt, versuche ich, mich kurz zu halten.
Was die Konversionsüberlegungen von Franz Werfel anbelangt, so scheint mir der Unterschied zu Edith Stein zu sein, dass letztere – ebenso wie Kardinal Lustiger – die Konversion als Vollendung des Judentums angesehen hat, Werfel anscheinend als Abwendung. Wenn man mir erlaubt, von der theologischen Position, die klar ist, zu abstrahieren und politisch-historisch zu argumentieren, scheint mir das doch ziemlich verständlich: Die zionistische Bewegung hatte volle Fahrt aufgenommen, und viele konvertierte Juden mussten insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg die Erfahrung machen, dass ihnen das Christ-Werden auch nichts ‚nützt‘.
Bei Alma Mahler scheint mir tatsächlich, dass ein feministisch-identitätspolitisches Klischee stimmt. Der geifernde, sensationsgeile Blick hat ihre Bedeutung vollkommen überdeckt und verzerrt, ohne zu bedenken, was es noch im Jahr 1880 heißt, als hochgebildete Frau geboren zu werden (weil einem dann klar wird, dass viele ‚Probleme‘ im Grunde jede Frau in dieser Zeit betroffen haben, in dem Sinne hat sie gar kein anderes als ein Privatleben); abgesehen von ihrem eigenen musikalischem Können wäre die Zweite Wiener Schule undenkbar gewesen. Leute interessieren sich natürlich für verschiedene Dinge, klar, aber vielleicht geben Sie ihr bei Gelegenheit doch eine Chance. 🙂
(Hm, doch nicht so kurz.)
Oh das war ein Missverständnis. Ich schätze ihre Musik z. B. sehr. Ich habe nur immer keiner Lust, mir zu merken, wer mit wem ein Verhältnis hatte und wer in welchem salon aus-und einging und diese ganze Morbidität dieser Epoche macht mich aggro. Also, nicht sie, sondern der sensationsgeile Blick auf sie nervt. Ich habe in Berlin mal einen Liederabend besucht, ich weiß nicht mehr ob Staatsoper oder deutsche Oper, in dem die Moderatorin jeweils nur darauf abhob. Es ging um Almas Salon, sie und Komponisten aus ihrem Dunstkreis. Da waren Steckbriefe der Komponisten des Abends angebeamt und bei einem ging es so weit, dass darauf stand „Hatte kein Verhältnis mit Alma Mahler“. Einen größeren Bock kann man für das Thema Frauen als Komponistinnen ja kaum schießen, wenn die Dramaturgie nur das interessiert.
Oh, Entschuldigung für das Missverständnis!
„Einen größeren Bock kann man für das Thema Frauen als Komponistinnen ja kaum schießen, wenn die Dramaturgie nur das interessiert.“
Absolut! (Und Berlin halt.)
Wow.
Die heilige Marie Bernarde Soubirous, oder wohl besser in ihrer Sprache „Maria Bernarda Sobeirons“, hat eine Botschaft gebracht, die das Leben vieler Menschen bereichert und eine wichtige Bedeutung hat. Danke, @Anna, dass Sie heute – indirekt – an sie erinnern. Die heilige Maria Bernarda Sobeirons, ein Mensch mit einer unermesslichen Seele, was für ein zartes Vögelchen!