Provinzielle Katholikenfeindlichkeit

Ich war kürzlich in einem Second Hand-Laden, dessen Wände mit Bildern von Marx und Che Guevara und mit vorgestrigen sozialistischen Parolen gepflastert sind. Ich war schon mehrfach dort und habe mir eine feine Seidenbluse und superschöne feine Wildlederhandschuhe dort gekauft (wen’s interessiert). Ich finde es ja immer lustig, dass Menschen, die solche kommunistischen Parallelwelten bewohnen, zwischen selbstständigem unternehmerischem Engagement und „Kapitalismus tötet“-Parolen so gar keinen Widerspruch sehen. Nun war dieser Laden nicht in Berlin, sondern in einer gemütlichen Kleinstadt, und die Betreiberin und eine Kundin kamen ins Gespräch. Ich hörte notgedrungen mit und musste eine Lachsalve unterdrücken, weil die Situation Loriotesk war: Die beiden unterhielten sich über die Ausländerfeindlichkeit der Anderen, die Engstirnigkeit der Anderen, die Intoleranz der Anderen usw. Das Ganze klang haargenau so, wie sich Alfred Tetzlaff über die Sozen und die verlotterte Jugend von heute beschwert, oder wie das Geklöne zweier Nachbarinnen, die mit gen Himmel verdrehten Augen und ringenden Händen die Politik, das Leben und die Intensität des Laubfalls beklagen: Bei dieser Art des „Gesprächs“ gilt es, einander jeweils immerzu zu bestärken. Der Effekt ist natürlich, dass man dadurch automatisch vor allem die eigene Engstirnigkeit und Beschränktheit präsentiert, da man sich ja selbstreferenziell in der eigenen Bubble bewegt, bloß, das merkt ja normalerweise keiner, weil alle „Zeugen“ ja zugleich involviert sind. Die beiden Damen konnten nicht ahnen, dass ausgerechnet die schwarze Kundin als feindliche Spionin agieren würde.

Nun fiel in der Bestärkung, wie ausländerfeindlich und rassistisch alle seien, die Bemerkung, dass das in der Gegend ja üblich sei, die Gegend sei „sehr katholisch“. Ich war natürlich innerlich sofort auf 180: Wie wunderbar, wenn Leute sich versichern, wie vorurteilsbehaftet die Anderen doch sind, indem sie ihre eigenen dümmlichen Vorurteile reproduzieren. Facepalm.

Die beiden Damen kennen den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität offensichtlich nicht. Tatsache ist, dass die Mehrzahl der Katholiken Nichteuropäer sind. Und ein gewaltiger Anteil dieser Nichteuropäer sind dunklerer Hautfarbe. Weder Ausländerfeindlichkeit noch Rassismus haben also kausal irgendwas damit zu tun, dass eine Gegend „sehr katholisch“ ist. Im Gegenteil. Allerdings kann natürlich eine „sehr katholische“ Gegend tendenziell damit korrelieren, dass sie eine ist, die relativ stark in sich abgeschlossen ist – sonst hätte sich in einer globalisierten Welt das einheitlich katholische Gepräge ja nicht erhalten. Und häufig sind Menschen in in sich geschlossenen sozialen Systemen eher skeptisch gegenüber Fremdem und Ungewohntem. Übrigens völlig egal ob im brasilianischen Urwald oder im Chiemgau.

Äußerlich katholische Gegenden in Europa sind außerdem gerade heute oft eher „kulturkatholisch“. Das bedeutet, dass die Menschen zwar an katholischen Bräuchen festhalten, deshalb aber nicht unbedingt öfter beichten gehen, ihren Glauben und ihre persönliche Christusbeziehung pflegen. Und gerade in diesem Umfeld sind es dann die praktizierenden Katholiken, die offener sind als ihre Taufscheinmitgläubigen: Weil sie den togolesischen Gastpriester jeden Sonntag erleben, weil sie bei einem indischen Priester Exerzitien machen und bei einem aus Guatemala einen Vortrag über Kirchen- und Schulprojekte anhören; die Kinder lernen in der katholischen Kita, dass Gott viele unterschiedlich aussehende Menschen erschaffen hat, und dass alle von Gott geliebte Kinder sind, und so weiter. Das ist auch keine moderne Entwicklung: Schon im Mittelalter benannte man seine Kinder schließlich nach Schwarzen, bzw. Heiligen, die man für schwarz hielt (Moritz, Maurice) und erwählte solche zu Schutzpatronen. Während der Aufklärung wurde die Kirche dafür verspottet, dass sie so dumm, rückständig und antiwissenschaftlich war, dass sie tatsächlich der Ansicht blieb, dass es nur ein Menschengeschlecht gäbe – die oberschlauen Aufklärer prägten dagegen den damaligen wissenschaftlichen Stand, dass ganz offensichtlich diese seltsamen Schwarzen auf gar keinen Fall desselben Ursprungs sein könnten wie die noblen Weißen, deshalb konnte man sie auch problemlos versklaven (Tja. Soviel zum Thema „Wissenschaftlichkeit“. Ähnlichkeiten zu aktuellen Argumentationsmustern sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.). Heute feiern wir die japanischen, koreanischen und vietnamesischen Märtyrer, spenden für Christen im Nahen Osten und verehren auch in Europa die Gottesmutter in indigener mittelamerikanischer Gestalt (Unsere liebe Frau von Guadalupe). Wegen dieser für Fremdes offenen Haltung steht die Kirche gerade von Seiten protestantischer Denominationen übrigens auch in der Kritik, weil ihr vorgeworfen wird, Synkretismus zu dulden.

Mir ist völlig klar, dass ein durchschnittlicher Katholik von dem, was die Kirche lehrt und wünscht häufig weit weg ist. Dass es rassistische und fremdenfeindliche Katholiken gibt, will ich sicher nicht leugnen. Aber so etwas hat weder ursächlich etwas mit Katholizismus zu tun, noch ist es eine häufig auftretende Erscheinung. Das Gespräch dieser beiden Damen war einfach symptomatisch für die kleingeistige, engstirnige, provinzielle und rückständige Katholikenfeindlichkeit, die uns jeden Tag über die Medien eingetrichtert wird. Katholisch ist gleich böse. Dass man damit lauter dunkelhäutige, sozial benachteiligte, marginalisierte und verfolgte Menschen diskriminiert, merkt man gar nicht, weil man zu klein ist, um über den eigenen Gartenzaun zu schauen.

Irgendwie ärgere ich mich, dass ich das Gespräch nicht einfach in gebrochenem Deutsch unterbrochen habe mit: „Ahhh! Katholische Gegend! Wie schön! In meine Dorf wir auch alle katholische!“