Gewalt an Frauen hat viele Gesichter

In Österreich machen derzeit mehrere Morde und Vergewaltigungen an Frauen und Mädchen Schlagzeilen. U.a. fällt auf, dass besonders viele Taten von Afghanen verübt werden. Die Verbrechen sind furchtbar, und natürlich regt man sich im Netz auf über den Islam, über Migration.

Immer wieder begegnet mir bei diesem Thema der Hang vieler Menschen, das Problem der Gewalt gegen Frauen zu einem importierten Problem zu erklären: Der Islam bzw. die Migration aus dem muslimischen Kulturkreis sei das Problem. Das ist nicht falsch. Bestimmte Arten von Gewalt gegen Frauen, besonders die Selbstverständlichkeit, mit der man sie als Menschen zweiter Klasse (oder gar als Gegenstand) betrachtet, schwappen tatsächlich aus dem islamischen Kulturkreis1 zu uns. Aber wie so oft kann ein Problem auf mehrere Ursachen zurückgehen.

So ist einer der schockierenden Fälle aus Österreich der eines Mädchens in Wien, das in einem Hostel von Jugendlichen gruppenvergewaltigt wurde; und zwar über Monate. Der erste Impuls der „rechten“ Bubble (also alle, die rechts des Marxismus-Leninismus stehen) ist natürlich, den Islam verantwortlich zu machen: Klar besteht auch hier grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Täter allesamt zuhause gelernt haben, dass man so mit Frauen umgeht. Angesichts des jugendlichen Alters der Täter ist dies aber eher unwahrscheinlich. Schließlich werden auch in Afghanistan nicht 13, 14 Jahre alte Jungs ins Mannsein initiiert, indem sie ihren männlichen Verwandten bei Massenvergewaltigungen zuschauen.

Sozialisierung durchs Internet

Viel wahrscheinlicher ist, und das kommentierte ich auch unter dem Tweet, dass hier das archaische (muslimische) Weltbild auf eine von (Gewalt)Pornographie geprägte westliche Umgebung trifft. Ein explosiver Mix. Im Nachhinein stellte sich meine Vermutung als stichhaltig heraus: Die Täter zwischen 13 und 16 Jahren sollen syrischer, türkischer, italienischer, bulgarischer und serbischer Herkunft sein. Sieht man von Türken und Syrern ab, ist das eine Kombi, die schon in Österreich-Ungarn durch Wien hätte streifen können. Die typische Mischung einer multikulturellen Großstadt der Postmoderne, wo das Problem nicht so sehr festgefahrene traditionelle Lebensweisen sind, als vielmehr das Fehlen eines durch die Kultur klar geregelten sozialen Umgangs. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass solche verwahrlosten Jugendlichen eben gerade nicht zuhause gelernt haben, wie man mit anderen Menschen umgeht, sondern durch Tiktok, WhatsApp, usw.

Ich hatte mal mit zwei Jungen im Alter von gerade einmal zehn Jahren zu tun, denen auf dem Schulhof pornographische Darstellungen gezeigt wurden. Bilder, die Kinder nie wieder aus dem Kopf bekommen. In diesem Fall stammten sie aus einer christlichen Familie, die alles tat, um ihre Kinder vor derlei Einflüssen zu schützen (sie haben sie zum Beispiel umgehend von der Schule genommen). Aber ich kannte auch während einer Tätigkeit als Nachhilfelehrerin für Kinder mit Migrationshintergrund Fälle, in denen die Kinder dem, was sie da sehen, ausgeliefert waren: Ein kleiner russischer Junge etwa, der regelmäßig fast einschlief, weil er bis nachts um zwei, drei Uhr fernsah: Was für Inhalte laufen um die Uhrzeit? Man weiß nicht, was er sich angeguckt hat, und niemand hat sich dafür interessiert.

Wenn Jugendliche medial mit pornographischen Vorstellungen von Sexualität aufwachsen, dann ist völlig klar, dass ein Teil von ihnen das ausprobieren wird, was sie sehen. Das wird noch dadurch verstärkt, dass heute viele Videoinhalte bewusst „laienhaft“ aussehen; man denke nur an „Reality“-Formate; so dass der Eindruck entsteht, hier handle es sich um den normalen Alltag, den andere Menschen leben. Von Inhalten, die live von Menschen mitgefilmt und ins Netz gestellt werden, ganz zu schweigen.

Der Westen macht es sich zu leicht

Natürlich bekam ich sogleich die Quittung für eine derart unpopulär „komplexe“ Meinung: Mir wurde vorgeworfen, ich würde radikalen Islam nicht als Problem betrachten – das Gegenteil hatte ich allerdings zuvor explizit zum Ausdruck gebracht. Ich nehme an, der Kommentator hatte von meinem Profilbild darauf geschlossen, dass ich wohl links sein müsse, schließlich bin ich schwarz, also ist egal, was ich schreibe, ich muss wohl Islamismus verharmlosen. Natürlich ist es Twitter und damit nicht repräsentativ. Dennoch geht mir diese Haltung gehörig auf den Keks: Auch Pornographie ist Gewalt gegen Frauen (vorrangig – natürlich auch gegen die beteiligten Männer!); auch eine Gesellschaft, die die Frau fortwährend unter dem Deckmantel der Liberalität objektiviert, ist eine Gesellschaft, die Gewalt an Frauen ausübt. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass sie in einem Fall archaisch, und im anderen hochglanzpoliert daherkommt.

Mein Lieblingshassobjekt, das veranschaulicht, wie nah sich afghanische Vergewaltiger und westliche Pornographie stehen, ist Game of Thrones, wo die wiederholte brutale Vergewaltigung eines zwangsverheirateten jungen Mädchens durch einen wilden Barbaren völlig schrankenlos bis ins Detail gezeigt wird, und als westliche Fantasie über archaische Gewalt an Frauen gefeiert wird – der Darsteller Jason Momoa gilt als Sexsymbol. Ein Jugendlicher, der GoT schaut, und dann sieht, dass der Schauspieler geschätzt wird, kann leicht auf den Gedanken kommen, ein Mann, der so mit Frauen umgeht, sei ein toller Hecht. Was sonst soll er aus dem Verhalten der Mehrheitsgesellschaft schließen? Auch kulturelle Missverständnisse sind da wohl kaum verwunderlich: Jeder Angehörige einer archaisch-patriarchalen Kultur würde sich zurecht fragen, wieso das, was dort dargestellt wird, als sexy und „geil“ empfunden wird, dass er aber die westliche Fantasie nicht real in den Westen bringen soll. Selbstkritisch und rational betrachtet zeigt diese Nähe zwischen westlicher Fantasie und archaischer Realität, wie bigott, wie heuchlerisch und wie krank unsere Gesellschaft im Grunde ist.

Unterschiedliche Symptome, gleiche Diagnose: Frauenverachtung in zweierlei Gestalt

Wie gesagt: Die Objektifizierung ist dieselbe, lediglich der kulturelle Hintergrund ist ein anderer. Das heißt natürlich nicht, dass es im Westen in Sachen Frauenrechte und Würde der Frau so schlimm sei, wie in Afghanistan oder anderen nichtwestlichen Ländern. Natürlich nicht! Da ist zum Beispiel der immense Unterschied, dass Frauen in solchen Ländern zumeist einfach gar keine Wahl haben, während viele Frauen bei uns – gerade gutsituierte, gebildete und/oder „emanzipierte“ – an den Mechanismen, die weniger gut gestellte Frauen belasten, tatkräftig mitwirken, sich selbst an der Sexualisierung der Frau beteiligen.

Dass die durchschnittliche Situation von Frauen in Europa so unermesslich viel besser ist als in vielen anderen Teilen der Welt, liegt nicht an der „aufgeklärten“, „modernen“ und „liberalen“ Gesellschaft. Diese richtet sich in vielen Dingen gegen die Frau. Es liegt am christlichen Menschenbild, das als Grundlage der europäischen Gesellschaften noch nicht völlig ausgelöscht ist, und dessen Prämissen zum Teil unhinterfragt weiterhin als selbstverständlich betrachtet werden – noch.

Frauen sollten sich nicht einreden lassen, dass sie nur die Wahl hätten zwischen einer sie verachtenden Kultur der liberalen Hemmungslosigkeit (dazu gehört übrigens auch die Auslöschung des Frauseins durch den Transhype) und einer sie verachtenden Kultur der repressiven Hemmungslosigkeit. Tertium datur: Die Rückgewinnung eines Menschenbildes, das die Ausbeutung und Herabwürdigung des Menschen zum Objekt geißelt.

Nachbemerkung: Den Leser dieses Artikels mag vielleicht überraschen, dass das Wort „patriarchal“ hier fehlt. Häufig wird archaische Frauenverachtung als dem „Patriarchat“ geschuldet betrachtet, ebenso wie Frauenfeindlichkeit im europäischen Kulturkreis. Es ist eine unpopular opinion, aber ich bin davon überzeugt, dass das Patriarchat nicht per se die Ursache für Frauenfeindlichkeit ist. Denn während Vaterschaft im Patriarchat durchaus mit Autorität und Macht einhergeht, ist die Frage, wie diese verstanden werden. Im Christentum etwa bedeutet patriarchale Macht Fürsorge und Dienst, wie zahllose heilige Männer es vorgelebt haben. Aber natürlich kann sie auch pervertiert und verzerrt werden. Da aber ein positives Verständnis von Vaterschaft und väterlicher Autorität für Frauen positive Folgen hat, verzichte ich auf eine einseitige Definition des Begriffs Patriarchat/patriarchal und habe ihn in diesem Text durch „archaisch“ ersetzt.

Heilige Josefine Bakhita, bitte für uns. Heilige Mirjam von Abellin, bitte für uns. Heiliger Joseph, bitte für uns.

  1. Eigentlich ist es unfair, hier nur den Islam, und den Islam „an sich“ zu nennen. Tatsächlich ist es ein Phänomen, das in vielen nichtwestlichen Kulturkreisen auftritt. Ich denke, dass man dies zum Teil bewusst verschleiert. Gerade sorgt der Fall zweier Backpacker für Aufsehen: Das Paar war nach Indien gereist und überfallen worden, die Frau von mehren Männern vergewaltigt. Ich bin immer wieder erstaunt, wie naiv Europäer davon ausgehen, dass ihre Regeln überall gelten. ↩︎