Taufe zum Nulltarif

Ich bin mittlerweile fast davon überzeugt, dass das Leben auf dem Planeten Erde eine Reality-Satireshow ist, produziert vom führenden marsianischen Privatsender. Die außerirdische Invasion wird derzeit nur dadurch verhindert, dass Milliarden von Aliens Tag für Tag gebannt vor dem Bildschirm sitzen und zugucken, was die Spezies Mensch jetzt wieder verzapft. Ein besonders beliebtes Spin-Off ist „Bei Kirchens“.

Ehrlich gesagt habe ich Schlagzeilen wie „Pop-Up Taufen in Berliner Kirchen“ für Aprilscherze gehalten. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass der Ausverkauf der evangelischen Konfession derart fortgeschritten ist, dass man bereits die Sakramente verramscht. Missionare teilen jahrelang und jahrzehntelang geduldig das Leben der Menschen in Urwald und Wüste, um sie gewissenhaft zu Christen heranzubilden, um ihren Glauben zu wecken und zu nähren, bevor sie mit der Taufe zu Gliedern des Leibes Christi werden – und zu mündigen Christen. Nicht so im concrete jungle Berlins. Hier genügt es, an einem dritten Mittwoch im Monat in die Marienkirche zu stolpern, um sich nach einem Vorgespräch Wasser über den Kopf kippen zu lassen.

Im Interview sagt die verantwortliche Pfarrerin dazu, sie mache nicht die Erfahrung, dass Menschen nicht wüssten, worauf sie sich da einlassen. Das will sie in 30 Minuten Vorgespräch eruiert haben. Sich aus der Verantwortung stehlen Protestanten-Style, und das in der Konfession, die angeblich doch so wahnsinnig auf Bildung und Wissen etc. pocht. In einer Zeit, in der kaum etwas so hochgehalten wird wie Selbstbestimmung – die doch voraussetzt, dass ich kenne, was ich unternehme! Ich habe in meinem evangelischen Religionsunterricht noch gelernt, dass „Proselytenmachen“ etwas ganz ganz schlimmes sei. Unsere Lehrerin, sicher keine hochkirchlich lutherische Hardlinerin, im Gegenteil, sprach das Wort mit solcher Verachtung aus, dass man unwillkürlich das Bedürfnis verspürte, auf den Boden zu spucken, wann immer es fiel. Der guten Frau Pfarrerin ist so wenig bewusst, was sie da macht, dass sie es nicht einmal verschleiert: Natürlich sei das Mitgliederrekrutierung, sagt sie ohne den Hauch eines schlechten Gewissens auf Nachfrage. Und, dass die Taufe deshalb ja nicht weniger wirke. Gut aufgepasst im Studium. Dass das Sakrament wirkt, ist keine Rechtfertigung dafür, Schindluder damit zu betreiben.

Zeitsprung: Pestepidemie im Mittelalter. Priester Kunibert wird zu Ritter Sigismund gerufen. Der hat aus dem Heiligen Land einen Maurendiener namens Ali Ben Salah mitgebracht. Der liegt in den letzten Zügen. „Ich will getauft werden“, röchelt er mit letzter Kraft. Der Priester zögert nicht. Drei „ich widersage“, drei „ich glaube“, Wasser übern Kopp und der gute Diener darf gewiss sein, aller Sünde seines vormaligen Götzendienstes ledig ins ewige Leben einzugehen. Niedrigschwellig – weil an der Schwelle des Todes. Man nennt das Nottaufe, man nennt das Lebensgefahr.

Zeitsprung. Wer heute in Deutschland Christ werden will, der muss nicht nur in ins ewige Leben hineingetauft werden, der muss diese Taufgnade auch bewahren lernen (können), und zwar angesichts geistiger und geistlicher Gefahren, die mindestens so kritisch sind wie Krieg, Pest und Hungersnot. Fürchtet euch nicht vor jenen, die den Leib töten, mahnt uns Jesus. Wir stehen Feinden gegenüber, die die Seele töten. Wenn man sich in Urwald und Wüste Zeit nimmt, die Menschen zu Jesus zu führen, und lieber in Kauf nimmt, dass einer im Katechumenat verstirbt und zu Jesus kommt, als dass er vorschnell getauft würde, wie kann es sein, dass bei uns, wo der leibliche Tod nicht alltäglich lauert (oder zumindest so lauert, dass wir es nicht merken), keine Zeit dafür vorhanden ist, sich mit dem Glaubensgut, dem man sich anvertraut, und zu dessen Hüter man mit der Taufe wird, vertraut zu machen? Der Getaufte muss unter Umständen noch jahrzehntelang im Glauben stehen und wachsen können, und wo soll er nach seiner Taufe hin? In aussterbende Sonntagsgottesdienste und schwammig-spirituelle Livestyle-Events? „Niedrigschwelligkeit“ muss nicht und kann nicht in möglichst schneller und spontaner Taufe bestehen, sondern muss durch Verfügbarkeit von Christen, durch Zugänglichkeit von Begleitung und Begegnung erreicht werden.

Dazu kommt, dass gerade in evangelischen Konfessionen der Aspekt der Sündenvergebung durch die Taufe eine tragende Rolle spielt. In den Verlautbarungen der EKD zum „Jahr der Taufe“, der Anlass zu diesen Pop-up-Taufen, und in den Äußerungen zu diesen Events geht es aber immer nur darum „Zu Jesus zu gehören“. „Technisch betrachtet“ ist das dasselbe: Ich kann zu Jesus gehören, weil meine Sünden vergeben sind. Aber dass dieser sperrige Sachverhalt in dem dreißigminütigen Vorgespräch genügend erörtert werden kann und wird, dass die Bedeutung des Wortes „Erlösung“ geklärt und verinnerlicht werden kann, scheint doch unwahrscheinlich – abgesehen davon, dass natürlich, das sagt auch die Pfarrerin, auch Menschen kommen, die sich schon lange überlegt haben, getauft werden zu wollen, und die dieses Event lediglich zum Anlass nehmen.

Was mich daher am meisten wundert, ist der ausbleibende #aufschrei. Es ist eines der am weitesten verbreiteten Vorurteile gegenüber christlicher Mission, dass sie Menschen den Glauben oktroyiert habe. Hier geschieht genau das, was in 2000 Jahren Missionsgeschichte die Ausnahme geblieben ist, und es wird als innovativ gefeiert. Der Taufbefehl lautet nicht „tauft“, sondern „lehrt und tauft“. Ich bin davon überzeugt, dass ein großer Teil gläubiger Landeskirchler entsetzt sein muss, dass hier das Wort des Heilands derart verkürzt und verzerrt wird. Dass Landesbischöfe hier nicht einschreiten, scheint mir ein Zeichen fortgeschrittener Erosion der Einheit zu sein. Man scheint sich mit den vagabundierenden Privatreligionen, die sich unter dem Dach der EKD verlustieren, nicht einmal mehr genug verbunden zu fühlen, um ihre Vertreter brüderlich zurechtweisen zu wollen.

Ein „Jahr der Taufe“ mit zahlreichen Angeboten zu diesem Sakrament ist eine sehr gute Idee. Es wäre eine hervorragende Möglichkeit, die Taufe aus dem Dunstkreis des „schönen Familienfestes aus Tradition“ herauszulösen und wieder in ihrer Bedeutung aufleuchten zu lassen. „Pop-up-Taufen“ sind das genaue Gegenteil einer vertieften Auseinandersetzung mit der Taufe.