Prechtige Twitterskandälchen

Liebe ich schlechte Wortspiele? Und wie. Egal. Auf Twitter macht man lautstark seiner antisexistischen Empörung Luft. Richard David Precht, der gefeierte Philosoph, hat in einem Boomer-Podcast mit Markus Lanz Annalena Baerbock verunglimpft. Nun meine ich, dass Resilienz gegenüber schnodderigen Bemerkungen zeigt, dass man sich selbst nicht für den Nabel der Welt hält, und das ist generell ne gute Basis für ein erquickliches Zusammenleben. Dass sich derzeit viele immerzu beleidigt fühlen, hat keine guten Auswirkungen auf das zwischenmenschliche Klima. Am besten sind natürlich jene, die sich auch selbst auf die Schippe nehmen können, aber dieses Verhalten wird heute in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit gar nicht mehr verstanden.

Die Aufregeraussagen: Precht meint, es sei ein Unfall, dass Baerbock Außenministerin geworden sei. Sie hätte nicht mal ein Praktikum im Auswärtigen Amt bekommen unter normalen Umständen, habe die moralische Inbrunst einer Klassensprecherin und solle kleine Brötchen backen.

Ich habe an dieser Stelle erst mal ein paar Einwände: Erstens habe ich Klassensprecher nie als übermäßig moralisch erlebt, aber ich war ja auch in den 90ern Schülerin, das kann sich geändert haben. Zweitens: Annalena hätte vielleicht keinen Praktikumsplatz bekommen, aber zumindest ist die Welt noch so normal, dass Richard keinen Nobelpreis erwarten kann, und das ist doch auch wenigstens etwas.

Nun muss man zur Einordnung sagen, dass er es nicht okay findet, dass Baerbock die Ukraine unterstützt und versucht, den Chinesen zu sagen, wo’s langgeht. Ich bin da völlig anderer Ansicht. Sowohl Russland als auch China stehen für eine Welt, in der Menschenwürde nicht nur aufgrund der Schwäche des Einzelnen, sondern aufgrund der Weltanschauung mit den Füßen getreten wird. Soll heißen: In einer Welt, die von den USA geführt wird, mag es geheime Foltergefängnisse geben, aber diese stehen gegen das, woran die USA glauben, sind also ein Zeichen der Korruption. Anders ausgedrückt: An den Maßstäben der USA kann man im Falle eines Verbrechens messen, dass das, was sie tun, nicht das ist, was sie tun sollten. In einer von China oder Russland geführten Welt würden die Maßstäbe dagegen ergeben, dass China und Russland genau das tun, was sie sich vornehmen und woran sie glauben. Die politische und philosophische Grundhaltung ist in sich falsch.

Das Problem ist daher nicht Baerbocks missionarische Grundeinstellung, sondern dass sie nicht im Sinne einer christlich verwurzelten, die Würde des Menschen unbeugsam verteidigenden freiheitlichen Demokratie auftritt, sondern im Sinne der Rumpfideologie, die übrig bleibt, wenn man das Abendland entchristlicht, relativistisch-säkular umdefiniert, die Menschenwürde an Bedingungen knüpft (die man halt nur besser findet als die der Chinesen oder Russen) und Demokratie als „Meine Meinung ist die einzig moralisch haltbare“ versteht. Also: Die Dissonanz entsteht dadurch, dass Annalena auftritt, als wäre sie Dominikanerin unter Albigensern, in Wirklichkeit ist sie aber lediglich wie eine Anabaptistin unterwegs, die Jan van Leyden halt ein bisschen zu radikal findet. Verträte Baerbock Werte, die im objektiv Guten und in der Wahrheit verwurzelt wären, wäre auch überzeugender, dass sie so auftritt, als seien ihre Werte das. Das wird allerdings wahrscheinlich auch Precht nicht verstehen. In Sachen Russland bin ich einfach nur dankbar, dass wir hier nicht von SPD-Russenfilz abhängig sind, sondern in Form der Grünen noch ein bisschen gesunden Überlebenswillen (entgegen der pazifistischen Urwählerschaft) haben. Grüne, die die Realität nicht als Feind, sondern als Verbündeten sehen, finde ich eigentlich immer sehr sympathisch (ich bin nämlich wider Erwarten in vielen Anliegen durchaus eher grün als schwarz veranlagt, mich stößt lediglich die Realitätsflucht dermaßen ab).

Ich schreibe das nur, um deutlich zu machen, dass ich die Grundlagen für Prechts Aussagen ablehne, und zwar sehr stark. Dennoch muss ich ihm in der Sache einfach zustimmen: Wer versehentlich Russland verbal den Krieg erklärt, wer keine zwei Sätze fehlerfrei ablesen kann, wer so behäbig spricht, dass man die Rädchen im Hirn einzeln klicken hört, ist meiner Ansicht nach abseits der Geschlechterfrage ungeeignet für ein politisches Amt. Jedes Mal, wenn ich einen öffentlichen Auftritt von Baerbock sehe, kann ich vor cringe kaum noch atmen. Die Sache jetzt als frauenfeindlich zu framen, ist einfach unter aller Kanone. Kann man eine Frau nicht mehr kritisieren, weil sie eine Frau ist? Dass man sich als ehemaliger Klassensprecher in seiner Ehre verletzt sieht, kann ich verstehen. Schließlich wird man in dieses Amt gewählt aufgrund der Fähigkeit zu sprechen, nicht zu stammeln.

Abgesehen davon habe ich den leisen Verdacht, dass diese Angelegenheit nun genutzt wird, um Precht endgültig abzustoßen. Er wurde ja in den vergangenen Jahren gehypt. Ich habe mich nie viel mit ihm beschäftigt, insofern ist mein Fernurteil nicht repräsentativ, nicht zuverlässig und nicht fair, aber alles, was ich gehört habe, klang selbstverliebt, pseudointellektuell und Möchtegern. Wie 90% der sich als Elite verstehenden Twitternutzer. Weshalb die Liebe des Feuilletons, der Redaktionen, der Talkmaster etc. zu diesem Mann mir folgerichtig vorkommt. Nun ist es ja derzeit so, dass durch mysteriöse Regeln festgelegt wird, wer gehypt wird. Da sagen dann monatelang alle dasselbe, bis jemand, der eine andere Meinung zum Sachverhalt hat, sich ernstlich Sorgen um die eigene geistige Gesundheit macht. Wenn man dann irgendwann doch feststellt, dass das Nachhecheln dessen, was irgendwer Kluges findet, vielleicht gar nicht der eigenen Meinung entspricht, oder sollte sich doch einmal etwas Urteilskraft in den eigenen Geist verirren, neigen manche Leute dann zu verstärkten Abstoßungsreaktionen, weil man ja vor sich selbst nicht so gern das Gesicht verliert. Dann „hat man es immer gewusst“, „war ja immer eigentlich der Meinung, dass“, und so weiter.

Ehrlich gesagt kommt mir der Precht-Hass genau so vor: Menschen, die einfach immer alles geil finden, was irgendwer für hip erklärt, lassen ihn fallen, und damit man das aus moralisch exzellenten Gründen tun kann, tut man es wegen seiner Frauenfeindlichkeit. Dabei finde ich, die Deutschen, Annalena und Richard David haben einander allesamt vollumfänglich verdient. Eine mittelmäßige Gesellschaft, mittelmäßige Philosophen, mittelmäßige Politiker. Passt doch. Gesellschaften neigen dazu, Philosophen, die sie überfordern, und Politiker von Integrität ziemlich schlecht zu behandeln. Schierlingsbecher und Guillotine sind nur zwei mögliche Strafen von vielen für Menschen, die besser sind als ihre Zeit und ihr Umfeld.

Nach diesem zivilisationspessimistischen Rant, mit dem ich mich trotz eindeutiger Geschlechtszuordnung in die Riege der Alten Weißen Männer begeben zu haben vermeine (Ich rauche gerade Luftzigarre, trage eine unsichtbare Fliege und trinke alkoholfreien Whisky, der torfigste, der aufzufinden war, an der Wand hängt der Schädel des Einhorns, das ich auf der letzten Großwildjagd erlegt habe), verspreche ich, demnächst auch wieder was geistlich-erbauliches zu bringen.

Heiliger Thomas von Aquin, bitte für uns. Heiliger Thomas Morus, bitte für uns. Heilige Anna, heilige Maria Magdalena und heilige Helena, bittet für uns.