Angst vor Veränderung?

Die globale, römische Phase der Weltsynode naht, und in Deutschland geht das deutschsynodale Kuddelmuddel munter weiter. Ich bin – und das mag den einen oder anderen überraschen – ein Fan der Methode des geistlichen Gesprächs und habe die kontinentale Etappe, an der ich selbst als Delegierte teilnehmen durfte, jene europäische in Prag, als großen Gewinn erlebt. Ich werde vielleicht noch an anderer Stelle erklären, warum, und warum ich das, was uns Papst Franziskus hier angeboten hat, für eine gewaltige Chance für die Kirche halte – die gleichwohl gefährdet ist. Fürs Erste kann ich auf ein Interview in der Tagespost verweisen, indem ich zumindest ansatzweise meine Eindrücke geschildert habe.*

Obwohl Kontinentaletappe und Synodalversammlung unterschiedlicher nicht hätten sein können, gab es ein „Argumentationsmuster“, oder besser gesagt einen Topos, der sich in beiden Zusammenkünften fand, und den ich für problematisch halte. Es handelt sich um „Angst vor Veränderung.“ Dieses Narrativ besagt, dass es Menschen gäbe, die für Reformen seien, und solche, die Angst vor Veränderung hätten.

Dass es beide Gruppen gibt, leugne ich nicht. Wo es Veränderungen gibt, gibt es auch Menschen, die sich vor Veränderungen fürchten. Aber zum einen ist die Gruppe, derer, die Veränderung wollen, nicht homogen. Es gibt Menschen, die wollen diese Veränderung, andere wollen jene. Um es ganz extrem zu sagen: Gewöhnlich wird mit „Für Veränderung“ gemeint, dass Frauen Priester werden sollen. Aber auch, wer dafür ist, durchweg zur tridentinischen Messe zurückzukehren, ist jemand, der für Veränderung ist. Abgesehen von diesen Extrembeispielen gibt es natürlich tausenderlei Abstufungen und Nuancen der Reformwünsche, die Menschen haben. Ich will nur deutlich machen, dass „für Reformen“ erst einmal noch nichts darüber besagt, was für Reformen damit gemeint sind. Das wird aber suggeriert.

Zum anderen gibt es auch Menschen, die (bestimmte) Veränderungen ablehnen, ohne sich vor ihnen zu fürchten. Widmen wir uns jedoch erst einmal den tatsächlich Ängstlichen: Spannenderweise wird diese Furcht gern nicht einfach festgestellt, sondern bewertet. Während der Pandemie etwa hatte ich keinen Funken Angst vor Corona. Und musste wahnsinnig aufpassen, gegenüber panischen Bekannten möglichst wenig zu sagen, um nicht als Coronaleugner eingetütet zu werden. Und das, obwohl ich davon ausging, dass es sich um eine ernstzunehmende Erkrankung handelte. Aber ich konnte eben dieser Ansicht sein, ohne Angst zu haben, und das konnten viele nicht. So viele, dass die Angst davor zur Tugend erklärt wurde, die Nichtangst zu Verrücktheit. Hier also war Angst eine angeblich positive und angemessene Haltung. Aktuell haben viele Menschen Angst vor dem Klimawandel. Hier wird die Angst vor Veränderung unserer Lebensumstände wegen des Klimawandels (Dürren, Überschwemmungen, Verteilungskämpfe etc) tendenziell als positiv, Angst vor Veränderung unserer Lebensumstände durch die Maßnahmen gegen den Klimawandel (etwa sinkende Wirtschaftskraft, instabile Energieversorgung etc.) als negativ betrachtet. An diesem Beispiel sehen wir also besonders gut, dass die Bewertung von Angst nicht nach besonders einsichtigen Parametern vorgenommen wird. Angst vor Veränderung wird in manchen Kontexten durchaus als etwas Positives betrachtet.

Nicht so, wenn es um Fortschritt in der Kirche geht. Meiner Ansicht nach liegt das daran, dass die Kirche, seit sie nicht mehr Treiber gesellschaftlicher Entwicklung ist, jeder geistesgeschichtlichen Entwicklung um etwa 100-150 Jahre hinterherhinkt. Während also der Rest der Welt in Resignation und Zukunftsangst versinkt, rufen Katholiken: Fortschritt wird uns retten!, etwa so, wie es der säkulare Mensch um 1870 tat. Dass mittlerweile zwei Weltkriege und ein Kalter Krieg Zweifel an der Zivilisationsevolution durch Fortschritt hin zum goldenen Zeitalter aufgekommen sind, das werden Kirchenfunktionäre voraussichtlich gegen 2090 checken.

Ganz gleich, ob meine schnodderige historische Einordnung dieses Phänomens zutrifft oder nicht: Fakt ist, dass in der Kirche in bestimmten Kreisen die Ansicht herrscht, Veränderung sei einfach an sich und in sich gut, und Angst davor per se schlecht. Natürlich eine bescheuerte Vorstellung, s. Klimawandel.

Das ist aber nur ein Aspekt. Der gewichtigere ist, dass hier willkürlich die Vorannahme getroffen wird, Skepsis oder Ablehnung gegenüber Vorhaben sei Angst. Das kann man doch gar nicht wissen, wenn man die Leute nicht fragt, was ihre Motivation ist. Die Aussage, dass jemand gegen Frauenpriester ist, bedeutet nicht, dass er Angst vor Frauenpriestern hat. Oder Angst davor, dass die Kirche ihre Apostolizität verlöre und nicht mehr Kirche wäre. Selbst wenn man etwa von letzterem felsenfest überzeugt ist, kann man das ohne einen Hauch von Angst sein, und eine solche Entwicklung ganz einfach ebenso sachlich ablehnen, wie ein anderer sie einfordern mag.

Der psychologische Kniff ist indes offensichtlich: Wenn ich die konkrete Haltung von Menschen als Angst charakterisiere, muss ich mich inhaltlich mit ihren Einwänden nicht mehr beschäftigen. Ich muss dann ihre emotionale Ebene – die Angst – wahrnehmen, ernst nehmen, lindern; freundlich mit ihnen umgehen und ihnen Wege aufzeigen, wie sie mit geplanten Veränderungen umgehen können. Aber ich muss mich nicht mehr befragen lassen von ihren Einwürfen.

Diese Vorgehensweise ist also zutiefst unsynodal: Sie verhindert echtes Zuhören von vornherein, da man dem anderen das Motiv seiner Meinung unterstellt. Ich hoffe sehr, dass die Weltsynode diesen Mechanismus transparent macht und benennt. Denn ich habe den Eindruck, dass es sich hier, zumindest bei den auf der Kontinentaletappe getätigten Aussagen in diese Richtung, nicht um bewusste Strategie, sondern um einen unbewussten Reflex gehandelt hat. Jemand ist skeptisch, dann hat er Angst: Diese Schlussfolgerung ist uns geläufig; darum sind wir tendenziell in der Gefahr, dieses Muster als Selbstverständlichkeit vorauszusetzen. Die Weltsynode hat sich aber zum Ziel gesetzt, einen neuen Level des Zuhörens zu etablieren. Und dazu gehört, dass ich den andern nach seiner Motivation frage, und diese nicht in der Weise voraussetze, die meine Meinung klammheimlich zur wertvolleren erhebt.

*Ein Transparenzdisclaimer: Ich arbeite als freie Autorin für die Tagespost :). Als Gastdelegierte hatte ich die Aufgabe, den Prozess mitzutragen und ihm gegenüber loyal zu sein. Das bin und war ich, daher bin ich hier nicht als Journalistin, sondern allein als Teilnehmerin befragt worden.