MEHR als nur ein Event – Was wir vom Glaubensfestival mitnehmen können
Beitragsbild: © MEHR (J. Pesch)
Ein Wort zu Beginn: Ich war beruflich auf der MEHR. Das bedeutet, dass ich nur sehr eingeschränkt am Programm teilnehmen konnte, da ich die meiste Zeit beschäftigt war.*1
Sicher werden viele etwas zu den geistlichen Aspekten, den Konzerten und Vorträgen sagen oder schreiben. Ich möchte den Blick auf einen anderen Bereich lenken. Denn die MEHR ist keineswegs Disco-Pietismus, der in der persönlichen Gottesbegegnung stehenbleibt, sondern ein Ort, an dem auch deutlich wird, dass wir das, was wir empfangen, weitergeben. Das konnte man vor allem im Ausstellerbereich beobachten. Da man den über Livestream etc. nicht mitbekommt, möchte ich mit meinen Lesern drei Eindrücke teilen, die ich auf der MEHR gewonnen habe. Ich kann sie auf drei Schlagworte bringen: Gemeinschaft, Schönheit, Freiheit.
Christentum goes Gemütlichkeit
Wahnsinnig viele Stände auf der MEHR waren nicht als Tresen gestaltet, sondern als Mini-Cafés (mit sehr gutem Kaffee!), kleine offene Wohnzimmer, als Begegnungsräume. Wenn man an „normale“ Kongresse denkt, ist das Anliegen ja gewöhnlich – und das ist auch verständlich – die eigene Botschaft an den Mann und an die Frau zu bringen: Hier ein Flyer, hier ein Printprodukt, hier ein Kuli und eine Tasche, damit du dich an mich erinnerst, und hier eine Liste für den Newsletter. Das ist alles total löblich, und dafür sind Messe, Ideenmarktplatz und Ausstellerbereich ja auch da. Mit dieser Gestaltung als Wohnzimmer wurde aber der Blick weggelenkt vom Anbieter auf den Empfänger: Was brauchst du gerade? Einen Keks? Ein Gespräch? Einen Platz, um einmal durchzuschnaufen? Hier herrschte eine echte Zuwendung zum Andern, die mich wahnsinnig gefreut hat, weil hier ein Miteinander unter christlichen Geschwistern zum Ausdruck kam, wie ich es oft vermisse, seit ich nicht mehr evangelisch bin (isso). Die Standgestaltung steht hier sinnbildlich für eine Stimmung, die meinem Empfinden nach durchweg spürbar war. Man hat sich Zeit genommen, sich wirklich für den Anderen interessiert – wenn es auch aufgrund der schieren Menge an Ständen unmöglich war, wirklich alles mitzunehmen! Ich denke, dass wir diesen Aspekt in unseren Alltag und auch in die Zukunft der Kirche hineintragen sollten und müssen. Es klingt vielleicht lächerlich, aber für mich waren diese Sitzecken prophetisch: In einer Zeit, in der die Menschen immer mehr Vereinzeln, in der wir an der Schwelle zu einer Normalisierung der Euthanasie stehen, wo man alte und kranke Menschen einfach wegwirft, das Ungeborene ja schon lange; da sind wir Christen dazu berufen, Inseln der Zuwendung zu schaffen, Räume der Begegnung, des Da-Seins. Ja. Ich erblicke in ein paar Sesseln einen Auftrag für uns als Christen. Cringe? Weird? Sus? Is‘ mir egal.
Schönheit ist ein Attribut Gottes
Wo engagieren sich Christen? Lebensschutz? Klaro. Soziale Projekte? Aber sicher! Verlagswesen? Na, was täten wir ohne den Kawohl-Abreißkalender?! Alle üblichen Verdächtigen waren natürlich hier vertreten, von der Stiftung Ja zum Leben bis Sundays for Life, von Organisationen, die Holocaustüberlebende in Israel unterstützen bis zu Lebenshilfe- und Missionsinitiativen; Christliche Bücher, Bibelwerke etc. Aber was mir auffiel: Da waren auch die Kunsthandwerkerin, die handgemachten Schmuck verkaufte, die bildende Künstlerin, die Manufaktur für Lederwaren; da gab es faire Mode, Deko, Kunstdrucke. Das Bekenntnis zur Schönheit fand ich besonders bedeutsam, weil es ein ökumenisches war: Gerade die Schönheit wird ja zuweilen von allen Seiten unter Beschuss genommen. Puritanische Einfachheit sieht darin tendenziell eitlen Tand. Modernistischer Minimalismus argwöhnt, dass, wo Schönheit Einzug hält, demnächst die Messe nur noch auf Latein gefeiert wird. Aus eben jener obskuren Ecke kommt jedoch eine Strömung, die davon überzeugt ist, dass, wo nicht fünf Zentimeter Staub drüberliegen, der Teufel lauert. Und immer muss sich Schönheit den Vorwurf gefallen lassen, sie sei oberflächlich. Dabei gibt es kaum etwas, wonach unsere Welt mehr dürstet! Die Sucht nach dem Bruch, die Verdächtigung der Schönheit; die postmoderne Haltung zum Leben hat dazu geführt, dass Schönheit kaum noch geschätzt und gepflegt wird. Das betrifft, wie wir uns kleiden, aber auch, wie unsere Alltagsgegenstände, unsere Häuser gestaltet sind. Wo man früher alles per Hand schnitzen musste, da versah man einen Tisch mit aufwendigen Verzierungen. Wo heute alles in einem Bruchteil der Zeit hergestellt werden kann, reduziert man alles, womit wir uns umgeben, auf die Funktion. Und das strahlt auf den Menschen aus! Schönheit preisen und feiern, davon bin ich überzeugt, hilft uns, auch die Schönheit des Menschen wieder wahrnehmen und wertschätzen zu lernen.
Ein Gott der Freiheit
Ich habe hier mal einen Artikel über Gott und Freiheit geschrieben. Es gehört – irgendwie kurios – zu meinem Glaubensweg, dass ich Gott in meinen frühesten Erinnerungen als Gott der Freiheit wahrgenommen habe. Das wird meiner Ansicht nach am schönsten und umfassendsten deutlich in den zehn Geboten: Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft geführt hat. Ich war sehr erstaunt, wie viele Initiativen auf der MEHR präsent waren, die sich gegen (Zwangs-)Prostitution und Menschenhandel engagieren. Dieses Thema ist nicht nur hochaktuell, es berührt mich auch sehr. Ich empfinde die Erniedrigung der Frau als eines der schlimmsten Übel unserer Zeit, zumal sie in so vielen unterschiedlichen Gestalten daherkommt. Dass sich Christen an vorderster Front für Frauen und für deren Freiheit einsetzen, ist wirklich beachtlich. Nicht nur, dass sie damit zeigen, dass es eben nicht „nur“ um Gebet, um persönliches „Wohlbefinden“ oder „Eventgefühl“ geht, sondern dass wir das, was wir im Gebet empfangen, an die Welt weitergeben, für die Welt, dass Christen da stehen, wo es in der Welt am härtesten, grausamsten zugeht, um an der Seite der Schwächsten zu stehen: Das ist zukunftsweisend. Und es ist doppelt zukunftsweisend, dass dies hier so konkret im Kampf gegen Prostitution und Menschenhandel deutlich wurde. Der Freiheit des Menschen geht es gerade an den Kragen, er wird an der Wurzel seines Menschseins entmündigt und versklavt. Es gibt kaum ein wichtigeres Zeugnis der Christen, als ihr Bekenntnis zur Freiheit. Was für eine Gegenkultur errichten wir hier gerade inmitten der Knechtschaft!
Natürlich konnte man von der MEHR noch sehr viel mehr mitnehmen als diese drei Punkte. Aber zwischen meinen übervollen Arbeitstagen waren das die Parameter, die ich als besonders wegweisend empfunden habe. Es ist völlig klar, dass wir als Christen gerufen sind, Gegenkultur zu sein. Angstfrei und entschieden für Christus, und darin den Menschen zum Dienst. Auf der MEHR haben sich freilich nicht alle, aber viele derer versammelt, die dazu bereit sind, und die bereits dabei sind, diese Gegenkultur aktiv aufzubauen, zu gestalten, und mit Leben zu füllen: Eine Kultur der Freiheit, der Zuwendung, der Liebe zur Schöpfung und zum Menschen, den Gott in solcher Schönheit und Würde erschaffen hat.
Heiliger Ulrich, bitte für uns! Heilige Afra, bitte für uns! Heilige Maria von Ägypten, bitte für uns!
- An dieser Stelle transparente Schleichwerbung: In der nächsten Zeit kommen auf dem Youtube-Kanal von @ewtnde viele spannende Interviews – ob mit Kira Geiss (Miss Germany 2023), Elijah 21 (Muslime finden Jesus) oder „Perlentor e.V.“ (Ausstieg aus Zwangsprostitution). Wir haben wirklich mit super tollen Initiativen ins Gespräch kommen können. Außerdem gibt’s einen aktuellen Kommentar von mir zur MEHR in der Kolumne Zeitenwende in der aktuellen Tagespost. ↩︎
Christentum goes Gemütlichkeit. Na ja, wenn das ein Aspekt des Christentums sein soll, dann kann das nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sondern nur eine flüchtige Momentaufnahme. Maximilian Kolbe z.B. musste seine letzte Sitzecke im Hungerbunker verbringen, bevor er sein Leben für ein anderes opferte. Aber die Gegenwart sieht auch nicht gemütlich aus. Als Christ wurden meine Frau und ich aus der Gemeinde bzw. aus der hl. Messe geworfen, weil wir nicht geimpft, getestet und oder genesen waren. Da waren die gemütlichen Sitzecken von Maskenfetischisten und negativ getesteten coronafreien Mitchristen besetzt. Mitglieder der AfD, so wie ich einer bin, haben keinen Platz mehr in der Kirche und dürfen noch nicht einmal ein Ehrenamt besetzen, weil rechtsradikal und Nazi usw.usf.
Dass ich einmal in der Gemütskirche zu einem waschechten Nazi mutieren würde, war kaum vorstellbar, is aber so.